Gabor Steingart - Das Morning Briefing
14.07.2020
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Guten Morgen Volker Beissenhirtz,

ein Auto sei erst dann schnell genug, „wenn man morgens davor steht und Angst hat es aufzuschließen“, hat die deutsche Rallye-Legende der Siebziger- und Achtzigerjahre, Walter Röhrl, einst gesagt. Die Aktivisten von Fridays for Future waren seinerzeit noch nicht geboren, Staus eine Seltenheit. Autos hatten markante Gesichter, verchromte Stoßstangen, unterscheidbare Klänge. Es war die Zeit, in der die Deutschen eine Liebesbeziehung mit ihrem Automobil entwickelten und das Gaspedal für viele besondere Erotik ausstrahlte.

Wenn es nach Robert Habeck geht, ist es mit der Freude des ungezügelten Geschwindigkeitsrausches bald vorbei. Er wolle ein flächendeckendes Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen, sagte der Grünen-Chef im Gespräch auf der Pioneer One :

Das ist wahrscheinlich die erste Maßnahme einer neuen Regierung, wenn die Grünen dabei sind. Es gibt kein Recht auf Rasen in Deutschland.“

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Credit: Anne Hufnagl
 
Habeck glaubt, dass der Zeitgeist mittlerweile auf seiner Seite ist. Der moderne Bürger steuert in seinen Augen abends eine Elektro-Ladestation an, Mobilität wird zunehmend nüchtern und unemotional betrachtet. Das Tempolimit ist in Habecks Augen die logische Fortschreibung dieser Entwicklung:

Selbst der ADAC ist dafür. Wer argumentiert eigentlich noch dagegen?“

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Corona habe den Blick der Öffentlichkeit auf das Thema zusätzlich gewandelt, glaubt Habeck:

Der Vorwurf, ein Tempolimit sei eine ungebührliche Einschränkung der bürgerlichen Freiheit auf der Autobahn, klingt jetzt irgendwie noch lächerlicher als ohnehin schon – jetzt nach der Schließung von Kirchen, Schulen und so weiter.“ 

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Die Grünen verlassen damit mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl den Kurs, Partei des allgemeinen Wohlgefühls zu sein. Lange genügten Habeck und Ko-Chefin Annalena Baerbock sich in der Rolle, die geschmeidigen Parteichefs von nebenan zu sein. Mit charmantem Lächeln wurde jede inhaltliche Festlegung vermieden. Nicht ohne Grund: Wenn die Partei in der Vergangenheit konkret wurde, ging es oft daneben:

► 2013 drohten die Grünen mit höheren Steuern und Veggie-Day. Bei der Bundestagswahl folgte nach Umfragehoch der Absturz auf 8,4 Prozent.

► Selbst kurz nach dem Gau von Fukushima verspielte Renate Künast im Jahr 2011 die Chancen auf das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin mit der Idee, in der Stadt dürfe nur noch 30 km/h gefahren werden.

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Doch womöglich ist der Deutsche im Laufe der Jahre wirklich der Raserei überdrüssig geworden. Eine im Februar dieses Jahres durchgeführte Umfrage des Instituts Statista zeigt: Rund zwei Drittel der Befragten befürworten ein Tempolimit von 130 km/h oder weniger auf deutschen Autobahnen.

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Fazit: Ob das Tempolimit wirklich kommt, entscheiden nicht die Grünen auf ihrem Parteitag – es bestimmt die nächste Bundesregierung. Je stärker CSU-Chef Markus Söder aus dem Autoland Bayern bis zu den Koalitionsverhandlungen wird, desto unwahrscheinlicher ist auch die flächendeckende Geschwindigkeitsbegrenzung. Walter Röhrl, selbst ein Bayer, würde sich freuen.   

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Nichts ist verlässlicher für einen französischen Staatspräsidenten als der Nationalstolz seines Volkes. Umso ärgerlicher für den krisengebeutelten Emmanuel Macron, dass nach der Niederlage seiner Partei bei den Kommunalwahlen die Show zum heutigen Nationalfeiertag auf das nötigste geschrumpft werden musste. Die Militärparade auf der Prachtstraße Champs-Élysées kann wegen Corona-Abstandsregeln nicht stattfinden, auf dem nahe gelegenen Place de la Concorde findet eine verkleinerte Version statt.

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dpa
 

Je weniger es im eigenen Land läuft, desto mehr braucht Macron die Außenpolitik. In diesen Wochen heißt das: Europa. Deshalb ist der wichtigste Termin des Juli nicht der heutige Dienstag, sondern der Freitag, wenn in Brüssel über die Wiederaufbauhilfen für die europäische Wirtschaft entschieden wird. Über einen Plan also, den Macron zusammen mit Angela Merkel ausgearbeitet hat.

Einst war der Franzose angetreten, sein Land für Europa zu begeistern. Bei sinkendem Rückhalt in der Heimat braucht er nun den Erfolg in Brüssel zur eigenen Rettung. Macron muss zeigen, dass er mächtig und durchsetzungsstark ist – bevor die Franzosen ganz den Glauben an ihn verlieren. 

 
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dpa
 

Wer über die 385.000 Siemens-Mitarbeiter wacht, kann es binnen weniger Jahre zu großer Prominenz bringen. Janina Kugel, die bis Januar 2020 Personalchefin in München war, galt als eine der schillerndsten Managerinnen dieser Republik. Am Ende soll sie ihren selbstbewussten Chef Joe Kaeser sogar überstrahlt haben, weshalb dieser sie aus dem Unternehmen katapultierte. So lautet zumindest eine Version der Geschichte.

Dass sich Kugel, die mittlerweile in Diensten der Unternehmensberatung BCG steht, für ihre Nachfolge eine Frau wünschte, ließ sie in der „Überstunde“ mit meinen Kollegen Michael Bröcker und Marina Weisband  im März durchblicken:

Es wäre doch so schön, wenn die Gesellschaft, in der wir hier leben, auch tatsächlich in all den Spitzenfunktionen in Organisationen, in der Politik, in Wirtschaftsunternehmen und in den Verbänden repräsentiert wäre.“ 

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dpa
 
Der Aufsichtsrat hat Kugels Bitte jetzt mehr als erfüllt. Ab 1. Oktober übernimmt mit Judith Wiese nicht nur eine Frau den Posten der Arbeitsdirektorin bei Siemens, sondern auch eine Managerin, die in der Branche einen Ruf als Diversitätsexpertin und Frauenförderin genießt. Die 49-Jährige sagt: 

Es ist wirklich wichtig, dass wir nicht alle gleich aussehen und dasselbe denken. Innovation erfordert eine starke Pipeline auch mit weiblichen Talenten.“

Wiese, die einen Abschluss in Personal- und Wirtschaftswissenschaften hat und in Rotterdam und Duisburg studierte, kann auf Stationen beim niederländischen Chemiekonzern DSM und dem US-Lebensmittelhersteller Mars zurückblicken. Als Expertin für Arbeitsrechts- und Personalthemen, ist sie im Gegensatz zu ihrer technologieaffinen Vorgängerin mit dem nötigen Werkzeug ausgestattet, sich durch den oftmals politischen Konzern an der Isar zu manövrieren.

Fazit: Mit der Berufung Wieses beginnt bei Siemens der Anfang vom Ende der Ära von Joe Kaeser. Für dessen designierten Nachfolger Roland Busch ist Wiese der erste Mosaikstein dabei, sich eine eigene Hausmacht aufzubauen.

 
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Um die Start-up-Szene vor einem coronabedingten Kollaps zu bewahren, versprachen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Anfang April schnelle Hilfen. Mit insgesamt zwei Milliarden Euro wollte die Bundesregierung geschwächte Firmen unterstützen. Bereits im Mai sollten erste Gelder ausgezahlt werden.

Drei Monate nach dem Versprechen kämpfen viele Start-ups noch immer. Dem Online-Magazin „Business Insider“ zufolge  haben die Behörden gerade einmal ein Zehntel der Anträge bewilligt, geflossen sei bislang jedoch kein einziger Cent. Schuld daran ist offenbar die Ausgestaltung der Hilfen. Die zwei Milliarden Euro sollen nicht direkt an Start-ups ausgezahlt werden, um zu verhindern, dass dürftig Businesspläne aus dem Steueraufkommen finanziert werden. 

Stattdessen sollen die Hilfen einen Umweg über sogenannte Wagniskapitalgeber nehmen – sofern sich diese selbst an der Finanzierung beteiligen. Doch die Lust bei den Investoren, mitten in der Wirtschaftsflaute ökonomische Risiken einzugehen, ist offenbar wenig ausgeprägt. Der Weg zu den Start-up-Hilfen ist blockiert.

 
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Der Autozulieferer Continental hält heute um 10 Uhr eine virtuelle Hauptversammlung ab. Nach Produktionsunterbrechungen und Kurzarbeit an vielen Standorten steht der Dax-Konzern vor komplizierten Monaten. Vorstandschef Elmar Degenhart:

Wir rechnen jetzt mit einem sehr schwierigen dritten Quartal.“

Für das abgelaufene zweite Quartal erwartet Continental einen Verlust. Auch die Dividende für das Geschäftsjahr 2019 dürfte schmaler ausfallen: Auf der Hauptversammlung soll eine Ausschüttung von 3 Euro je Aktie vorgeschlagen werden. Im Jahr 2019 hatte Conti noch 4,75 Euro gezahlt. Genauere Prognosen für das Gesamtjahr 2020 sind laut Degenhart noch nicht möglich: 

Vergleichbare Einbrüche gab es zuletzt in der großen Krise um 1930.“

 
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In neun von sechzehn Bundesländern haben die Sommerferien begonnen, die restlichen folgen in den kommenden zwei Wochen. Nach Monaten fahren viele Deutsche erstmals wieder ins Ausland. Mit auf Reisen: das Freiheitsgefühl scheinbar wieder hergestellter Normalität. Corona-Pandemie? War da etwas? 

Am Ballermann auf Mallorca jedenfalls feierten am Wochenende große Gruppen von deutschen Urlaubern derart gedrängt, zwanglos und feuchtfröhlich, dass sich Gesundheitsminister Jens Spahn am Montag zu einer Warnung der besonderen Art durchgerungen hat:

Wir müssen sehr aufpassen, dass der Ballermann nicht ein zweites Ischgl wird.“

Auch Markus Söder wies via Twitter darauf hin:

Es braucht Umsicht im Urlaub. Schon einmal hat es eine Infektionswelle aus einem Urlaubsort gegeben.“

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Längst scheint bei manchem das Motto zu gelten, dass jetzt noch schnell gefeiert werden müsse, bevor die zweite Infektionswelle ohnehin komme. Es ist die zynische Antwort auf eine Pandemie, die Deutschland durch Glück und Geschick bisher weniger hart getroffen hat als andere Länder.

 
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dpa
 

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat der Firma Biontech aus Mainz ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für zwei mögliche Impfstoffkandidaten gegen das Coronavirus genehmigt. Das teilte Biontech gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer mit. Es handele sich um die am weitesten entwickelten Varianten eines möglichen Impfstoffs.

Probanden hatten in Tests Antikörper gegen den Erreger Sars-CoV-2 entwickelt. Unklar ist noch, ob diese Antikörper tatsächlich vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 schützen. Das sollen nun größere Untersuchungen mit bis zu 30.000 Personen zeigen. Erste Ergebnisse zu Tests in Deutschland werden Biontech zufolge im Juli erwartet.

Wenn es gut läuft, so optimistische Schätzungen, könnte schon Ende des Jahres ein Impfstoff gegen das Coronavirus verfügbar sein. Würde das gelingen, wäre plötzlich womöglich ein ganz anderer Rückblick auf das Jahr der großen Pandemie möglich.

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dpa
 
Sie wäre dann noch immer ein schwerer Einschnitt, der aber manchem persönlich auch neue Erkenntnisse gebracht hat. 40 Prozent der Befragten sagen laut Forsa-Umfrage bereits jetzt, man könne der Pandemie-Zeit auch positive Dinge abgewinnen. Man habe mehr Zeit für sich und die Familie gehabt, der Alltag habe sich angenehm entschleunigt. Das Gute im Schwierigen zu suchen und zu finden ist die wunderbarste Art der Lebenseinstellung. Behalten wir die Idee im Hinterkopf. 

Ich wünsche Ihnen einen schönen, sommerlichen Tag. 
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Gordon Repinski, Vize-Chefredakteur ThePioneer
(in Vertretung für Gabor Steingart)
 
 
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