Daimler-CEO ohne Fortune | AfD-Chef im Interview
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
24.04.2020
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Guten Morgen Jürg Walter Meyer,

in diesen dramatischen Tagen hat Angela Merkel die politische Rationalität auf ihrer Seite: Riskiert sie zu früh eine Rückkehr in das Alltagsleben, sind ab diesem Zeitpunkt alle Toten ihre Toten. Sie macht sich schuldig.

Kommt es infolge einer verhinderten Öffnungspolitik zu einer ökonomischen Depression, was als gesichert gelten darf, trägt sie formal die Verantwortung, aber moralisch keine Schuld. Schuld ist in diesem Fall immer nur das Virus.

Deshalb engagierte sie sich gestern im Deutschen Bundestag eindeutig für eine Politik der Strenge:

Die Situation ist trügerisch, und wir sind noch lange nicht über den Berg.“
Lassen Sie uns jetzt das Erreichte nicht verspielen und einen Rückschlag riskieren.“
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Der Kronzeuge ihrer Klage ist Christian Drosten, der oberste Virologe der Berliner Charité:
Wenn man die Maßnahmen lockert, dann starten an vielen Orten in Deutschland neue Infektionsketten.“

Die kritische Entwicklung in den Arztpraxen und Krankenhäusern bestätigt seine und ihre Strategie

Laut Johns-Hopkins-Universität hat sich am Mittwoch die Zahl der Neuinfizierungen im Vergleich zum Vortag verdoppelt. 2400 neue Coronafälle wurden für Deutschland gemeldet, am gestrigen Donnerstag kamen noch einmal 2466 hinzu. Damit liegt die Zahl der Infizierungen insgesamt bei nunmehr über 153.000. 

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Unterdessen steigt die Zahl der Toten weiter. Mehr als 5600 sind – Stand heute früh – am oder mit dem Coronavirus gestorben. Das kleine Deutschland hat damit das chinesische Riesenreich überholt. Dort, wo das Virus zuerst ausbrach, aber schnell durch Quarantäne- und Lockdown-Maßnahmen reagiert wurde, hat man bislang weniger als 4700 Todesfälle registriert. 

Im internationalen Vergleich sind die täglichen Todeszahlen in Asien nur noch marginal, während sie in jenen Ländern, die spät oder zögerlich agierten, weiter zunehmen. Allein die USA verbuchen derzeit ein Drittel der täglichen Todesfälle. Deutschland schneidet besser ab als Italien und Amerika, aber eben – wie gesagt – deutlich schlechter als China.

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Doch trotz der nur mittelmäßigen medizinischen Resultate der westlichen Pandemiebekämpfung sind die ökonomischen Auswirkungen überall im Westen, auch in Deutschland, dramatisch. 

Für Zehntausende Unternehmen aus der Hotel- und Gastronomiebranche kommen die Rettungsmaßnahmen zu spät, der abrupte Kundenstopp und fehlende Rücklagen zwingt sie in die Insolvenz. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband rechnet mit 10.000 Pleiten.

► Für die Bankhäuser bedeutet dies höhere Kreditausfälle. „Die Kreditrisiken bereiten uns tatsächlich die größten Sorgen“, sagt Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling heute im „Handelsblatt“ . „Ich erwarte, dass die Belastungen im dritten oder vierten Quartal deutlich zunehmen werden.“

Der Lockdown hat die Leitbranche einer globalisierten Welt – die Luftfahrtindustrie – nahezu komplett lahmgelegt. Der Flugbetrieb ist weltweit um 66 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. In Deutschland zählte der Flughafenverband ADV in der ersten Aprilwoche 98 Prozent weniger Passagiere als im Vorjahreszeitraum. 700 der 763 Lufthansa-Jets stehen am Boden.

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Auch in anderen Wirtschaftsbereichen, Events, Unterhaltung, Kulturstätten, Freizeitanbieter und Reisebüros, wird der Blitz einschlagen. Die Kreditlinien sind ausgeschöpft. Die Liquiditätshilfen des Staates können auf Dauer fehlendes Geschäft nicht ersetzen.

Trotz des Kurzarbeitprogramms führt die Krise auch real zu Arbeitsplatzverlusten. Das Münchner Ifo-Institut rechnet in einer aktuellen Studie mit bis zu 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, die abgebaut werden. Weitere sechs Millionen Beschäftigte sind von Kurzarbeit und damit von Einkommensverlusten betroffen.  

Fazit: Eine kluge Pandemiebekämpfung muss danach streben, beides hinzubekommen: die Durchbrechung der Infektionsketten und die Wiederherstellung der ökonomischen Kreisläufe. Was wir im Moment allerdings erleben, zeigt ein Dilemma wie wir es nur aus dem antiken Drama kennen: Die Lockerung ist zu weitgehend, um das Virus zurückzudrängen. Sie ist nicht weitgehend genug, unseren Wohlstand zu retten.

 
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Innovationsschwach, kostenintensiv und mit starker Neigung zum Verbrennungsmotor: Die Krise des Daimler-Konzerns wird durch die Corona-Pandemie noch einmal verschärft. Die vorläufigen Geschäftszahlen für das erste Quartal des Jahres fallen nicht schlecht, sondern desaströs aus:

Das konzernweite Betriebsergebnis (Ebit) brach im Vergleich zum Vorjahresquartal um 78 Prozent auf nur noch 617 Millionen Euro ein.

In der Sparte Cars & Vans machte der Konzern 55 Prozent weniger Gewinn als im Vorjahr: 510 Millionen Euro hat das Ebit in den ersten drei Monaten des Jahres betragen. 

Im Geschäft mit Trucks und Bussen verzeichnete Daimler noch ein Ebit von 247 Millionen Euro – im ersten Quartal 2019 waren es mit 553 Millionen Euro noch mehr als doppelt so viel.

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Im ersten Quartal ist auch die Liquidität des Konzerns weiter zurückgegangen: Lag der Free Cashflow im ersten Jahresviertel 2019 bei minus zwei Milliarden Euro, waren es ein Jahr später minus 2,3 Milliarden Euro. 

Die noch im Geschäftsbericht 2019 formulierten Prognosen sind damit – wenig überraschend – ein Fall für den Altpapiercontainer. Daimler-Chef Ola Källenius sendet Signale der Hilflosigkeit. Laut „Handelsblatt“  sagte er in einer Videobotschaft an die weltweit 300.000 Mitarbeiter:

Covid-19 ist wie ein schwarzer Schwan: Wir konnten uns nicht direkt darauf vorbereiten.“

Nach einer Schalte mit seinen 200 wichtigsten Führungskräften ergänzte er:

Unser Businessmodell ist dafür zu anfällig.“
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Analysten werfen bereits die Frage nach der Überlebensfähigkeit des Konzerns auf. „Steht Daimler vor einer Fusion?“, fragt der Nord-LB-Analyst Frank Schwope in einer aktuellen Analyse und skizziert die Alternativen:

Das deutsch-deutsche Modell mit BMW, wo bereits Kooperationen bestehen.“
Das deutsch-französisch-japanische Modell mit den bereits kapitalmäßig verflochtenen Partnern Renault und Nissan.“
Das deutsch-schwedisch-chinesische Modell mit dem Daimler-Großaktionär Geely und dem ,Schwesterunternehmen‘ Volvo.“
Fazit: Spätestens mit diesen Zahlen und der Perspektive auf eine Zwangsfusion endet die Ära Dieter Zetsche. Wer jetzt noch vorschlägt, den Ex-Vorstandschef zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden zu ernennen, hat einen Oscar für Dickfelligkeit verdient.
 
Die Deutsche Lufthansa durchlebt die schwierigsten Monate seit ihrem Bestehen. Gestern gab der Konzern erstmals seit Ausbruch der Pandemie Zahlen bekannt. Demnach lag der operative Verlust (bereinigtes Ebit) im ersten Quartal bei 1,2 Milliarden Euro. Im Vorjahr lag das Minus in dem traditionell schwachen Quartal noch bei 336 Millionen Euro.
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Allein im März habe man knapp 1,4 Milliarden Euro Umsatz verloren, teilte der Konzern mit. Und die weltweiten Reisebeschränkungen dürften der Kranich-Linie das traditionell starke Sommergeschäft unmöglich machen. Die Tochterlinie Germanwings wurde bereits eingestellt, weitere Sparmaßnahmen folgen. „Die Welt wird nach der Krise eine andere sein“, sagt CEO Carsten Spohr. Im Moment bezieht der Mann an der Spitze kein Gehalt, sondern Schmerzensgeld.

 

AfD in der Krise: Stand die Partei zu Beginn des Jahres noch – je nach Umfrage – bei 13 bis 14 Prozent, waren es zuletzt noch neun bis zehn Prozent. Derzeit ist die AfD mehr mit sich selbst beschäftigt als mit der Politik der Bundesregierung. 

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Jörg Meuthen, einer von zwei Parteivorsitzenden, wird zu den Bürgerlichen in der AfD gerechnet, die gegenüber dem völkischen Parteiflügel an Boden verlieren. Zuletzt hat Meuthen selbst eine Spaltung der AfD ins Gespräch gebracht. Grund genug für „Welt“-Vize Robin Alexander für den Morning Briefing Podcast  das Gespräch zu suchen. 

Meuthen, so zeigte sich, ist in Zeiten der Pandemie nicht nach streiten zumute. Seine Einstellung:

Ich gehöre nicht zu denen, die sich grundsätzlich gegen die Maßnahmen stellen, die jetzt ergriffen wurden.“

In dieser Situation setzt er nicht auf Polarisierung:

Wir müssen eine konstruktive Oppositionsarbeit machen und nicht eine fundamentalistische.“
Dass seine Partei in Umfragen verliert, liege an den Deutschen und nicht an der AfD, glaubt Meuthen:
In einer schweren Krisenzeit, und eine solche durchleben wir ja fraglos, steigen die Regierungsparteien, wenn sie keine ganz kapitalen Fehler machen. Das erleben wir. Wie immer in solchen Fällen.“
Er setzt darauf, dass die Stimmung in Deutschland spätestens mit dem Eintreffen einer schweren Wirtschaftskrise kippt:
Infolge der Coronakrise wird eine Wirtschaftskrise der Extraklasse entstehen. Und mit dem Personal, das die da zu bieten haben, wird das nichts werden.“
Der Mann hofft für seine Truppe auf bessere Zeiten. Meuthen macht sich selber Mut:
Das wird die Stunde der Opposition.“
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Milliarden gegen die Corona-Schäden – jetzt auch aus Brüssel: Der EU-Gipfel hat gestern das vereinbarte Paket mit Kredithilfen von bis zu 540 Milliarden Euro für Kurzarbeiter, Unternehmen und verschuldete Staaten gebilligt. 

Auch der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte, der zuletzt noch Vorbehalte gegen Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm ESM hatte und vehement für Corona-Bonds warb, gab sich nun geschlagen und stimmte dem Paket zu. Die gute Nachricht für ihn: Er bekommt Geld. Die schlechte: Er bleibt begründungspflichtig. Er bekommt einen Scheck, aber nicht blanko.

 
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Erstens: Das Institut für Wirtschaftsforschung legt seinen Geschäftsklimaindex für April vor. Das Ifo-Barometer gilt auf Basis einer Befragung von rund 9000 Unternehmen als wichtigster Frühindikator für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Im März fiel der Geschäftsklimaindex auf 86,1 Punkte von 96,0 Punkten im Februar. 

Zweitens: Bundeskanzlerin Angela Merkel berät heute mit Spitzenverbänden der Wirtschaft und Gewerkschaften die Lage in der Coronakrise. Dabei soll es unter anderem um die bisherigen wirtschaftspolitischen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung gehen – die Koalition hatte erst am Mittwochabend neue Hilfen etwa für Gastronomiebetriebe beschlossen.

Drittens: Ab heute gilt der von den USA verordnete Stopp legaler Einwanderung. Trump begründete den Schritt damit, dass Jobs und medizinische Ressourcen für US-Bürger bewahrt werden müssten. Der Einwanderungsstopp soll allerdings nur vorübergehend gelten.

Viertens: Heute steht die Überprüfung der Bonitätsnote Italiens, Griechenlands und Großbritanniens durch die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) an. Die Welt der Investoren schaut vor allem auf Italien. Verschlechtert sich das Kreditrating, wird es für Italien schwerer und vor allem teurer sich weiter zu verschulden.
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dpa
 

Fünftens: Der Deutsche Filmpreis wird heute vergeben. Mit elf Nominierungen geht die Literaturverfilmung „Berlin Alexanderplatz“ als einer der Favoriten ins Rennen. 

Die Kritiker, so viel kann jetzt schon verraten werden, beurteilen das Werk höchst unterschiedlich. Carolin Ströbele auf „Zeit Online“: „Wo soll man anfangen bei diesem Film? Diesem Kosmos an Farben, Tönen, dieser Lebens- und Liebesgeschichte, die einen drei Stunden lang in den Kinosessel drückt.“ Andreas Busche vom „Tagesspiegel“ hat offenbar einen anderen Film gesehen: Die Idee, den Filmklassiker als Geschichte einer Migration neu zu erzählen, findet er nur mittelprächtig gelungen. „Kann so das deutsche Kino im Jahr 2020 aussehen?“, fragt er. Ihn stören fehlende Leichtigkeit und „missionarischer Eifer“.

Heute Abend muss sich die Jury entscheiden. Wir Zuschauer haben noch Zeit. Die Kinos sind ja geschlossen.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in das Wochenende. Mein Vorschlag zum Gelingen: Schauen Sie auf die Temperaturanzeige und nicht ständig auf die Corona-Statistik. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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