Aus für Joe Kaeser? | Interview mit Thomas Kleine-Brockhoff
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
17.09.2019
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Guten Morgen Gregor Hochreiter,

die Drohnenangriffe auf die wichtigste Ölraffinerie Saudi-Arabiens provozieren einen Krieg der Worte: Die USA seien „locked and loaded“, twitterte US-Präsident Donald Trump, was  sinngemäß soviel bedeutet wie „Gewehr bei Fuß“.

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Aber diese Worte bereiten mutmaßlich keinen „war in full swing“ vor, sondern ersetzen ihn. Die sieben Gründe, warum Trump jetzt kein Interesse an einer kriegerischen Auseinandersetzung hat, sind hochgradig rational.

►Trump kann eine weltweite Rezession nicht gebrauchen, die von einem Nahost-Krieg unweigerlich ausgelöst würde. Der Ölpreis schoss unmittelbar nach dem Angriff in die Höhe: Das Barrel der Sorte Brent Crude kostete plötzlich zwölf Prozent mehr, was im Land der Pickup-Trucks wahrlich keine Verheißung ist.

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►Hohe Energiepreise bedeuten höchste Alarmstufe für die alten Industriejobs in den US-Bundesstaaten Ohio, Pennsylvania, Illinois, Michigan, West Virginia oder Indiana. Hier sind Trumps Wähler zu Hause.
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► Hinzu kommt, dass der Iran kein Zwergenstaat ist: Mit 873.000 Soldaten (bei gleicher Bevölkerungsgröße wie Deutschland) ist das Militär der Islamischen Republik vier Mal so groß wie die Bundeswehr. Die Zahl der Schiffe übersteigt die der Bundesmarine um fast das Fünffache (siehe Grafik). Und mit dem Bündnispartner Russland weiß der Iran eine Atommacht hinter sich.
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► Amerika hat mit militärischen Interventionen keine guten Erfahrungen gemacht. Der letzte wirklich erfolgreiche Auslandseinsatz mit anschließendem „regime change" war die Besetzung von Hitler-Deutschland. Seit Vietnam sind auch konservative Wähler in den USA allergisch gegen kostspielige Ausflüge ihrer Militärs.

►Trump kalkuliert kühler als er spricht. Verbal attackiert er die Machthaber in Moskau, Pjöngjang, Peking und Teheran, aber lässt seinen Worten bisher keine Taten folgen: „Military solutions are now fully in place and locked and loaded“, twitterte er bereits 2017. Der Adressat damals war „der kleine Raketenmann“ Kim Jong-un, dem Trump „fire and fury“, also Feuer und Wut, androhte. Zwei Jahre später betrat er als erster US-Präsident nordkoreanischen Boden.

► Auch gegenüber Peking ist die US-Politik rationaler als ihr Ruf: Im Handelsstreit mit China droht Trump zwar mit ständig neuen Strafzöllen – aber noch immer sind nicht alle angekündigten Maßnahmen in Kraft. Der Druck der US-Wirtschaft wirkt – und zwar nicht auf China, sondern auf Trump.

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►Jüngst entließ der Präsident seinen Sicherheitsberater John Bolton, der permanent darauf drängte, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Im Juni hatte Bolton Trump fast soweit, auf die Krise in der Straße von Hormus mit einem Militärschlag gegen den Iran zu antworten. Trump lehnte in letzter Minute ab. Er feuerte keine Raketen, nur Bolton.

Fazit: Die Lunte am Pulverfass Nahost brennt nicht, aber sie ist gelegt. Mit dem Königshaus der Saudis, dem Ministerpräsidenten von Israel sowie den Staatschefs in Russland und im Iran halten noch andere die Streichhölzer in der Hand. Man kann nur hoffen, das die Menschheit dazu gelernt hat. Oder um es mit Mark Twain zu sagen: „Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war.“

 
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Der Westen ist mittlerweile ein mystischer Ort geworden. Schemenhaft taucht er in den politischen Debatten immer wieder auf, als Erinnerungsposten, als Anklage, als Sehnsuchtsort. Es stellt sich die eine große Frage: Gibt es ihn überhaupt noch? Und wenn ja, wie viele?

Darüber spreche ich im Morning Briefing Podcast  mit Thomas Kleine-Brockhoff. Er war Leiter des Planungsstabes und Redenschreiber von Ex-Bundespräsident Joachim Gauck und ist Vizepräsident sowie Berliner Büroleiter des German Marshall Fund. Am kommenden Montag erscheint sein neues Buch: „Die Welt braucht den Westen: Neustart für eine liberale Ordnung“. 

In diesem Essay – das ich vorab lesen durfte – bespricht er die Wunden der Gegenwart und bietet Heilung an. Sein robuster Liberalismus ist moderner und zugleich demütiger als der westliche Triumphalismus der Nachkriegsprägung. Seine Kernaussagen:

Wir brauchen keine Traueranzeige für den Westen aufgeben. Seine Institutionen werden sich anpassen oder wandeln, manche auch verschwinden. Aber das Grundrahmengerüst freiheitlichen Lebens in den westlichen Ländern bleibt bestehen.“

Wir in Europa hätten ein Missverständnis über den Begriff des Westens, was in der Diskussion mit den USA über die Verteidigungausgaben deutlich werde:

Die Vorstellung, dass Luft und Liebe und Werte genügen, ist ja ein europäisches und besonders ein deutsches Missverständnis. Wir haben uns gut eingerichtet in dem Glauben, dass die Amerikaner hier Schutzmacht sind, während wir nach Herzenslust Friedensmacht sein können, den Sozialstaat ausbauen und Geschäfte machen.“

Jetzt, wo es kracht und knirscht, stellen wir fest, dass der feuilletonistische Westen Protektion braucht. Jede Rahmenordnung, jede Rechtsordnung ist nur so viel wert, wie sie auch geschützt wird.“

Zur Frage, ob Europäer und Deutsche einen größeren Beitrag zur Verteidigung investieren müssten, sagt er:

Allianz-Verteidigung ist die billigste Art der Verteidigung, die man sich vorstellen kann, weil alle in einen Topf werfen. Natürlich gibt es da das, was man auf Neudeutsch ein ,Collective Action Problem‘ nennt. Wenn einer mehr tut, dann fühlen sich andere ermutigt, weniger zu tun – und darin sind wir Deutsche leider groß gewesen in den vergangenen Jahrzehnten.“

Der Umgang des Westens mit China gehe von einer Fehlannahme aus:

Wir waren immer der Meinung, die Chinesen würden sich liberalisieren. Wenn man ihnen nur noch ein bisschen Zeit gibt, sie noch ein paar Regeln brechen lässt. Sie kommen dann schon an Bord, dann gibt es die nächste Liberalisierungswelle. Von dieser Annahme haben wir uns mit Xi Jinping verabschieden müssen, der jetzt auf Lebenszeit Präsident sein kann.“

Kleine-Brockhoff plädiert für einen „robusten Liberalismus“, der einerseits seine universellen Ansprüche zurücknimmt und andererseits seinen Ordnungsrahmen, da wo er gilt, auch zu verteidigen bereit ist. Wir lernen: Der Westen ist nicht tot, nur reformbedürftig. Das Feuer von Meinungsfreiheit, Demokratie und Rechtsstaat ist nicht erloschen, auch wenn es hier und dort zu flackern begonnen hat.

 
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Das am Sonntag ausgestrahlte ZDF-Interview mit AfD-Mann Björn Höcke sorgt weiter für Aufregung. Die AfD nutzt den von ihr selbst herbeigeführten Abbruch des Gesprächs, um das Feindbild Medien erneut zu schärfen. Die Partei zitierte auf Facebook ihren Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl:

Da war also der Eklat vom ZDF. Von langer Hand vorbereitet und gewollt.“

ZDF-Chefredakteur Peter Frey hält dagegen: 

Wir wollten keinen Eklat. Wir wollten einen Beitrag, der sich mit der Sprache der AfD, der Sprache von Björn Höcke auseinandersetzt. Wir wollten einen Beitrag zur Aufklärung leisten, keine Skandalisierung.“

Innerhalb der AfD-Führung wird der Vorgang als wenig hilfreich eingeschätzt. Die Parteisprecher Jörg Meuthen und Alexander Gauland schweigen. Vor der thüringischen Landtagswahl Ende Oktober will sich niemand mit Kritik am Spitzenkandidaten Höcke selbst beschädigen. Die Nacht der langen Messer folgt danach. Im Moment werden hinterm Vorhang die Klingen gewetzt. 

 
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Bei Siemens tagt morgen der Aufsichtsrat. Auf der Tagesordnung findet sich kein Hinweis, dass über die Zukunft von Konzernchef Joe Kaeser gesprochen wird. Aber zwischen den Zeilen öffnet sich der Spielraum für Spekulationen. Die „Spiegel“-Journalistin und Siemens-Insiderin Dinah Deckstein berichtet:

Joe Kaeser hat Siemens in den vergangenen Jahren radikal umgestaltet – und sich dabei fast überflüssig gemacht. Nun zeichnet sich langsam sein Abschied beim Konzern ab.“

Auch das „Industriemagazin“ verfügt über Quellen, die vom Abschied künden.

Die neue, verkleinerte Siemens AG braucht einen Techniker an der Spitze, der der Belegschaft und den Aktionären wieder eine Vision vermitteln kann.“

Offenbar liebäugele man im Aufsichtsrat mit dem 54-jährigen Roland Busch, der vor einem Jahr zum Chief Operating Officer bei Siemens benannt wurde. Weiterer Kandidat sei der ehemalige E.ON-Finanzvorstand und derzeitige Siemens-Vorstand Michael Senn, so das Magazin: „Wenn er den Posten will, bekommt er ihn.“

Die Tage des Joe Kaeser scheinen gezählt. Seine Berufung war kein Irrtum, wie jetzt manche sagen. Aber die Erwartungen, die er einst weckte, konnte er nicht erfüllen. Seine im Juli geäußerte Trump-Kritik („das Gesicht von Rassismus und Ausgrenzung“) war markanter als seine Geschäftserfolge. Seine größte Erfindung bleibt ein neues Organigramm.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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