VW-Manager angeklagt | Sascha Lobo im Interview
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
25.09.2019
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Guten Morgen Gregor Hochreiter,

nach monatelangem Zögern geben sich die Demokraten in den USA einen Ruck: Nancy Pelosi, Oppositionschefin im Repräsentantenhaus, erklärte heute Nacht, dass sie bereit sei, den Prozess für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump anzustoßen. Ihre Begründung:

The actions of the Trump presidency revealed dishonorable facts of the president's betrayal of his oath of office, betrayal of our national security and betrayal of the integrity of our elections.“

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dpa
 

Ihre Schlussfolgerung:

No one is above the law."

Auslöser für den nunmehr juristischen Versuch, Trump aus dem Weißen Haus zu drängen, ist das unlängst geführte Telefonat des Präsidenten mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj. Trump soll seinen Amtskollegen Geldflüsse in Aussicht gestellt haben, falls er Ermittlungen gegen den Unternehmer Hunter Biden aufnehmen würde. Hunter ist der Sohn von Joe Biden, der wiederum gilt derzeit als Trumps schärfster Wahlkampfkonkurrent.

Die Reaktion des Präsidenten auf den demokratischen Angriff – der sich seinerseits als Erwiderung versteht – ließ nicht lange auf sich warten. Der 73-Jährige twitterte:

Such an important day at the United Nations, so much work and so much success, and the Democrats purposely had to ruin and demean it with more breaking news Witch Hunt garbage. So bad for our Country!“

Anderes Land, ähnliche Ausgangslage: In Großbritannien hat das oberste Gericht gegen Premierminister Boris Johnson entschieden. Die von Königin Elisabeth bereits genehmigte Zwangspause des Parlaments war demnach nicht rechtmäßig. 
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Für Johnson ist die vereinte Opposition von Medien, Richtern und Sozialdemokraten ein Glücksfall. Sie schärft sein Profil und treibt seine Umfragewerte in die Höhe. Seit Amtsantritt gewannen die Tories acht Prozentpunkte dazu und liegen bei 32 Prozent, die Labour-Partei haben sie damit deklassiert. Auch Trumps Zustimmungswerte haben zuletzt wieder angezogen.

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Die Populisten in Amerika und Großbritannien funktionieren womöglich wie große Transformatoren. Die negativen Energien ihrer Gegner werden in die Antriebsenergien ihrer Freunde verwandelt. Aus Minus wird Plus. Hass transformiert sich auf physikalisch rätselhafte Weise in Zustimmung und – in der nächsten Veredelungsstufe – in den Zustand unbedingter Loyalität. Die Akkus der Populisten sind mittlerweile gut gefüllt. Der Zorn des anderen Lagers, auch in seiner juristischen Ausprägung, bildet jenen nachwachsenden Rohstoff, der die politischen Existenzen von Trump und Johnson mit Kernenergie befeuert.

 
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Die Europäische Zentralbank (EZB) wollte die Geldwertstabilität in Europa garantieren. So war es verabredet. Die Wahrheit sieht anders aus: Durch die Negativ-Zinspolitik sind die Geschäftsbanken derart unter Druck geraten, dass sie mittlerweile beherzt in die Sparguthaben der Bürger eingreifen. Nicht mehr die Inflation schmälert die Kaufkraft der Deutschen, sondern der Strafzins der Hausbank. 

► Bei einer Sparsumme von 100.000 Euro auf dem Tagesgeldkonto berechnen etwa die Sparda-Bank Berlin oder die Raiffeisenbank Gmund derzeit minus 0,4 Prozent Zinsen. Damit verliert der Bürger in zehn Jahren knapp 4000 Euro an Kaufkraft.

► Zum Vergleich: Im Juli 2008, zwei Monate vor der Lehman-Pleite, lag der durchschnittliche Zinssatz für Tagesgeld bei rund 4,5 Prozent. Bei einer Spareinlage von 100.000 Euro hatte der Sparer nach zehn Jahren rund 55.000 Euro zusätzlich auf dem Konto.

Das bedeutet, die Strafzinspolitik wirkt wie eine neue Quellensteuer, denn sie wird an der Quelle der Geldaufbewahrung, also direkt beim Finanzinstitut, erhoben. Finanzminister Olaf Scholz und auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder drohen mit Verboten, sollten die Banken die Geldaufbewahrungsgebühr der EZB an die Kunden weitergeben. Doch damit würden sie nach einer Untersuchung der Finanzaufsicht Bafin jedes zehnte Institut in Deutschland in Schwierigkeiten bringen. 

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dpa
 

Denn die Banken sind auf das Dauer-Negativumfeld, das die EZB mit ihren jüngsten Beschlüssen geschaffen hat, nicht vorbereitet. Bafin und Bundesbank sind für die Aufsicht von rund 1400 Banken zuständig, die für 89 Prozent der Kreditinstitute stehen. Die Umfrage zeigt:

► Etwa die Hälfte der befragten Banken haben bei ihren Ertragsprognosen für die kommenden fünf Jahre auf eine Zinswende gesetzt. Doch diese gab es nur in ihren Nachtgebeten. Der Wunsch war der Vater der Planung.

► Auf Basis dieser rosaroten Annahme rechneten die Banken mit einer Steigerung ihrer Überschüsse um durchschnittlich 23 Prozent. Die Vorstände wissen, wie man den eigenen Aufsichtsrat beeindruckt.

► Doch bei Ausbleiben der Zinssenkung verschärft sich die Lage, die Banken werden zu einer für Sparer feindlichen Geschäftspolitik regelrecht gezwungen: 42 Prozent der Banken sind bereit, dem Privatkunden die Belastung der EZB aufzubrummen – 33 Prozent würden sie auch den Geschäftskunden aufdrücken, so die Befragung im Rahmen des Bankenstresstests.
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Fazit: Scholz und Söder polemisieren gegen die Falschen, auch weil sie Kanzlerin Angela Merkel nicht verärgern wollen. Denn die hat sich mit ihrer Zustimmung zu Christine Lagarde – sie ist die neue Alice im Wunderland im EZB-Reich – dem Perpetuum von laxer Geldpolitik und negativen Zinsen angeschlossen. Scholz und Söder prügeln den Sack, aber meinen den Esel.

 
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Dazu passt: Die Banken bauen weiter Personal ab. Mit den rund 4300 Stellen, die nun auch die Commerzbank streichen will, steigt die Zahl der angekündigten Entlassungen seit Jahresbeginn weltweit auf rund 58.200 Stellen. Rund 90 Prozent davon entfallen auf europäische Bankhäuser.

Christian Sewing, Martin Zielke und all die anderen Vorstandschefs sollten vor Dienstbeginn einen Blick in den Himmel über Frankfurt werfen: Die Manager von Goldman Sachs, JPMorgan Chase und der Citigroup kreisen über den Zwillingstürmen wie die Aasgeier.

 
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Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat nun auch Anklage gegen den heutigen VW-Vorsitzenden und einstigen Markenvorstand Herbert Diess sowie Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch erhoben. Der Vorwurf: Marktmanipulation.

Das Topmanagement von Volkswagen soll seine Anleger im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen bewusst im Unklaren gelassen haben. Diess, Pötsch und der schon zuvor angeklagte Ex-VW-Chef Martin Winterkorn hätten demnach schon deutlich vor dem 18. September 2015, dem Tag an dem die US-Umweltbehörde den Skandal öffentlich machte, vom Abgasbetrug gewusst.

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An diesem Tag wurden innerhalb weniger Stunden rund 16 Milliarden Euro und damit mehr als 20 Prozent an Börsenwert vernichtet. Die Staats­an­walt­schaft geht in ih­rer 636 Sei­ten lan­gen An­kla­ge­schrift da­von aus, dass Pötsch seit dem 29. Ju­ni 2015 und Diess seit dem 27. Ju­li 2015 „je­weils voll­stän­di­ge Kennt­nis von den Sach­ver­hal­ten und den dar­aus sich er­ge­ben­den er­heb­li­chen Scha­dens­fol­gen hat­ten“. Sie sol­len An­le­ger „vor­sätz­lich zu spät“ in­for­miert ha­ben.

Lässt das Gericht diese Anklagen zu, müssten sich erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik zwei Spitzenkräfte eines Dax-Konzerns gleichzeitig vor Gericht verantworten. Bestätigen sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, könnten Diess und Pötsch wegen „vorsätzlicher Marktmanipulation“ verurteilt werden. Es drohen bis zu fünf Jahren Haft.

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Zumindest bei Pötsch ist es schwer vorstellbar, dass der Rechtsstaat ihn als unschuldig einstuft. Der Ex-Finanzvorstand von VW war einer der engsten Vertrauten von Winterkorn, anders als der damalige VW-Neuling Diess.

Pötsch wusste, was er tat, als er auf eine Ad-hoc-Mitteilung zur schnellen Unterrichtung der Aktionäre verzichtete. Er wollte den Kurssturz verhindern. Er wollte die Wogen und den Kurs glätten. Die vom Gesetzgeber verlangte Klarheit und Wahrheit gegenüber den Anteilseignern, also auch gegenüber den kleinen Aktionären, stellte er hinten an.

Heute trifft sich der VW-Aufsichtsrat zu einer Sondersitzung. Das Schicksal des Aufsichtsratsvorsitzenden hängt an einem seidenen Faden, der im Lichte der Ereignisse wie ein Galgen aussieht. Auf den Manager Pötsch wartet ein Leben hinterm Horizont. Auch als Aufsichtsratsmitglied von Bertelsmann dürfte er bald nicht mehr haltbar sein. Die Autorität seiner unternehmerischen Persönlichkeit ist erloschen.

Und noch ein Diesel-Nachbeben: Erstmals bekommt auch Daimler im Rahmen des Abgas-Skandals eine Strafe aufgebrummt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart verhängte wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht bei der Zertifizierung von Diesel-Fahrzeugen ein Bußgeld von rund 870 Millionen Euro. Daimler akzeptierte widerspruchslos. Auch die Ära Zetsche bedarf einer Neubewertung.

 

Beim Industriekonzern ThyssenKrupp ist der Teufel los. Zwischen dem Aufsichtsrat und dem Vorstandsvorsitzenden herrscht eisiges Schweigen. Das Band der Kommunikation ist gerissen, weshalb das Präsidium und der Personalausschuss des Aufsichtsrats eine Trennung von Konzernchef Guido Kerkhoff empfehlen.

Interimschefin soll die Aufsichtsratsvorsitzende Martina Merz werden, die ihre Machtposition in den vergangenen Monaten hat befestigen können. Das Zerwürfnis begann mit der gescheiterten Stahlfusion von ThyssenKrupp und dem indischen Unternehmen Tata Steel. Seither steuerte Kerkhoff auf Schlingerkurs. Viel Hektik, kein Plan. Dem Kapitän war erkennbar der Kompass aus der Hand gefallen.

 
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Viele Menschen in Deutschland glauben zu wissen, was „Digitalisierung“ bedeutet. In Wahrheit haben sie keinen blassen Schimmer – sagt Sascha Lobo, der Mann mit dem roten Irokesenschnitt.

Wie nur wenige Menschen hat er sich mit dem Innenleben des Internets beschäftigt. Und was er da sieht, kann auch uns nicht gefallen. Einerseits Zorn, Wut und Hass – anderseits Kontrolle und neue Formen der Repression. Für den Morning Briefing Podcast  spreche ich mit Lobo über den „Realitätsschock“, so der Titel seines neuen Buchs. Er sagt:

Der Realitätsschock hat viel damit zu tun, dass wir mit dem Blick des 20. Jahrhunderts auf die Phänomene des 21. Jahrhunderts schauen.“

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Die beschleunigte Übertragung geistiger Tätigkeiten auf die Maschine besorgt ihn. Lobo spricht vom Entstehen eines „Algorithmen-Prekariats“. Die Entwertung traditioneller Werte und der Wertverlust menschlicher Arbeitskraft lösten ein „Gegenwartshadern“ aus:

Wir schauen an den Horizont und erwarten den Tsunami der Künstlichen Intelligenz und der Robotik, der uns alle arbeitslos macht. Tatsächlich stehen wir längst bis zum Bauch im Wasser.“

Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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