Gerhard Schröder über AKK-Absturz | Abschied vom Westen
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
12.02.2020
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Guten Morgen Gregor Hochreiter,

der CDU-Machtkampf tobt vor allem in den Medien. In der Kulisse suchen die Verantwortlichen derweil die Einigung. Alle Fäden laufen derzeit bei NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zusammen, der sich in der Rolle des Königsmachers befindet und mit allen Kandidaten in einer Art Pendeldiplomatie die Interessen auslotet.

Es sind fünf Fakten, die seine starke Position begründen:

► Er führt den größten Landesverband der CDU und genießt auch den Rückhalt der CDU-Sozialausschüsse.

► Er steht in der Tradition der Merkel-CDU, die in allen Parteigremien heute die Mehrheit bildet. Er hat – anders als Merz – die Unterstützung der Kanzlerin.

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► Er sieht die Notwendigkeit von Law-and-Order, weshalb er NRW-Innenminister Herbert Reul mit seinem Kampf gegen die Clan-Kriminalität freie Hand lässt und deshalb auch Wolfgang Bosbach als Vorsitzenden seiner Regierungskommission „Mehr Sicherheit für NRW“ präsentierte. Im Kampf gegen die AfD gilt Laschet daher als effektiv, ohne die liberale Merkel-CDU zu verraten. 

► Er genießt in der Wirtschaft nicht wie Merz den Ruf des Experten, aber den des zuhörenden Pragmatikers. 

► Er ist sowohl mit der FDP, die in seiner schwarz-gelben Koalition mitarbeitet, als auch zu den Grünen anschlussfähig. Seit seiner Zeit als Integrationsminister unter Jürgen Rüttgers nennt man ihn liebevoll „Türken-Armin“.

Pendeldiplomat Laschet arbeitet in diesen Stunden an einem Paket-Deal, wie man in der Sprache der Investmentbanker sagen würde. Der Deal könnte laut der Beteiligten wie folgt aussehen:
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► Der jugendliche Gesundheitsminister Jens Spahn wird Fraktionschef der Union im Bundestag. 

Friedrich Merz übernimmt in einer künftigen Regierung das Finanz- oder Wirtschaftsressort.

Annegret Kramp-Karrenbauer darf Verteidigungsministerin bleiben.
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Markus Söder wird mit einem Machtzuwachs im Kabinett abgefunden und bekommt relevantere Bundesministerien als Entwicklungshilfe und Verkehr. Am liebsten hätte er ein zusätzliches Digitalministerium.

Merkel wird Ehrenvorsitzende der Union und erhält, falls internationale Jobs bei Weltbank oder UN zur Verfügung stehen, ein erstes Zugriffsrecht.

Laschet selbst sieht sich als Integrationsfigur, die die Partei gern versöhnen würde. Aber – und jetzt kommt das große Aber: Das Kanzleramt nötigt ihm Respekt ab. Er ist nicht von dem unbedingten Willen durchdrungen, nach dem höchsten Staatsamt zu greifen, zumal auch seine Frau zur Vorsicht rät. Laschet im Spätsommer vergangenen Jahres:
Es kann sein, dass ich am Ende übrig bleibe.“
 
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Einer, der den Widerstand von Teilen der eigenen Partei als Konstante seiner Karriere erlebte, ist Gerhard Schröder. Da traf es sich gut, dass der ehemalige Bundeskanzler gestern am frühen Abend bei Media Pioneer vorbeischaute. Vor Publikum zeichneten wir das neue Talk-Format „Überstunde“ auf. Eine Stunde. Ein Gast. Ein Thema. 

Im Gespräch mit der Publizistin und ehemaligen Piraten-Geschäftsführerin Marina Weisband und ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker drehte sich alles um das Wort Loyalität. Schröder weiß, dass Loyalität in der Politik nur solange besteht, wie der Erfolg, sprich Wählerstimmen, zu ihr verpflichten:

Wenn es eng wird, wird die Loyalität in der Politik weniger. Dann ist Führung gefragt und Härte. In diesen Regionen der Politik ist die Luft sehr dünn, und wenn man meint, mit guten Worten ließe sich das machen, dann ist das der Anfang vom Ende. Deswegen hat es mich nicht überrascht, was Frau Kramp-Karrenbauer widerfahren ist.“

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Und natürlich hat Gerhard Schröder (der von seiner Frau Schröder-Kim So-yeon begleitet wurde) aus seiner Erfahrung heraus auch ein Anforderungsprofil skizziert, das der CDU bei der Suche nach dem Merkel-Nachfolger helfen könnte. Der wichtigste Punkt: 
Die Menschen können nur jemandem vertrauen, der sagt: ,Ich will das, ich kann das und ich kämpfe auch darum.‘“
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Credit: Marco Urban
 
Das ganze Gespräch mit dem ehemaligen Bundeskanzler hören Sie am Donnerstag ab 18 Uhr unter www.überstunde.com und überall dort, wo es Podcasts gibt. Die Themen: Schröders Kindheit, der Weg zur Reformagenda 2010, sein Verhältnis zur Gegenwarts-SPD und zu Putin.
 
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Am Freitag beginnt die 56. Münchner Sicherheitskonferenz, eine Art Generalversammlung der Weltpolitik. 35 Staats- und Regierungschefs, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanadas Premier Justin Trudeau, sowie über 100 Außen- und Verteidigungsminister, auch die der USA, werden an der stark bewachten Veranstaltung im Hotel Bayerischer Hof teilnehmen.

Die Konferenz steht unter dem Motto: „Westlessness“. Vom englischen Wort “restlessness” (Unruhe) abgeleitet, soll der Begriff die Identitätskrise des Westens charakterisieren.

In dem 100-seitigen Sicherheitsreport , den internationale Wissenschaftler und Sicherheitsexperten der Konferenz als Diskussionsgrundlage für die Teilnehmer angefertigt haben, heißt es dazu:
Eine Vielzahl aktueller Sicherheitsherausforderungen sind direkt mit dem Zerfall und Rückzug des Westens verknüpft. Überdies scheint das Verständnis dafür, was es eigentlich heißt, ein Teil des Westens zu sein, in den Gesellschaften verloren gegangen zu sein.“

Die Autoren nennen vier Gründe, warum sich der Westen aus unserem politischen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Alltag zurückzieht. 

Erstens: Das verlockende Gift des Nationalismus. In seiner Ansprache an die UN-Generalversammlung 2019 sagte US-Präsident Donald Trump was viele denken: „Die Zukunft gehört nicht den Globalisten. Die Zukunft gehört den Patrioten.“

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Zweitens: Die liberalen Marktwirtschaften haben auf die Globalisierung gesetzt, die Wohlstand schuf – und polarisiert. Im Report heißt es streng:

Kritiker der wirtschaftlichen und finanziellen Liberalisierung haben lange darauf hingewiesen, dass von der Globalisierung überproportional die Eliten profitiert haben. Ein großer Teil der Bevölkerung im Westen musste dafür bezahlen. Insbesondere die Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre Folgen erschütterten das Vertrauen in die Überlegenheit des liberalen Modells.“
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Drittens: Die militärische Zurückhaltung der westlichen Demokratien, etwa frühzeitig im Syrien-Konflikt zu intervenieren, sei ein Zeichen für den Bedeutungsverlust. Aus dem Report:

Jüngst haben China, der Iran und Russland ihre erste gemeinsame Flottenübung im Indischen Ozean und im Golf von Oman durchgeführt. Das kann als Botschaft an die Vereinigten Staaten und die Welt gedeutet werden.“

Viertens: Die gesellschaftliche Akzeptanz für den Westen als solidarisches Projekt schwindet. Die Bürger spüren den Bedeutungsverlust, andere Nationen - wie beispielsweise China - rücken in den Fokus. So geht mittlerweile jeder zweite Deutsche davon aus, dass die Volksrepublik die weltweit führende Wirtschaftsmacht ist: 

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Die Münchner Sicherheitskonferenz führte repräsentative Umfragen in zahlreichen Staaten durch, die einen starken Hang der Gesellschaften zur Neutralität im Konfliktfall zeigen. Aus Konflikten zwischen den USA und China, aber auch aus Konflikten der USA mit Russland möchte sich eine deutliche Mehrheit, nicht nur der Deutschen, heraushalten.
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Fazit: Wenn der Report der Münchner Sicherheitskonferenz recht hat, dann muss der Historiker Heinrich August Winkler seine „Geschichte des Westens“ um ein neues Schlusskapitel ergänzen. Titel: „Der Abstieg“.
 
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Neuer CEO, alte Probleme: Ola Källenius hat von Dieter Zetsche nicht nur das Chefbüro, sondern auch die Strukturprobleme der Daimler AG geerbt. Milliardenkosten für die Dieselaffäre, Anlaufprobleme bei den neuen Modellen, Verluste in der Van-Sparte und nicht zuletzt verspätete Investitionen in die Zukunftstechnologien addieren sich zu einem Gewinneinbruch der Extraklasse.

► Das Konzernergebnis betrug im vergangenen Jahr 2,7 Milliarden Euro. Das sind 64 Prozent weniger als 2018.

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► Auf mehr als vier Milliarden Euro summieren sich allein die Ausgaben für Rückrufe und Verfahren im Zusammenhang mit der Dieselaffäre.

► Die Aktionäre sollen je Aktie für das abgelaufene Geschäftsjahr nur noch 90 Cent erhalten – nach 3,25 Euro im Jahr zuvor.

Källenius weiß, dass seine bisherige Performance nicht für den Beginn einer Ära reicht, sondern ihn nur dichter an die Abbruchkante führt:

Das sind keine Ergebnisse, die wir in der Zukunft sehen wollen. Das reicht nicht.“
 
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Bei der Vorwahl in Iowa lag Bernie Sanders noch knapp hinter Pete Buttigieg. Die Vorwahl im Bundesstaat New Hampshire dagegen hat der linke Senator nach aktuellen CNN-Ergebnissen  mit 26,0 Prozent der Stimmen gewonnen. Buttigieg, ehemals Bürgermeister der Stadt South Bend, folgt ihm mit 24,4 Prozent. 

Der ehemalige Vizepräsident der Vereinigten Staaten Joe Biden kann seine Ambitionen allmählich beerdigen. Wieder reicht es nur für einen fünften Platz. Bidens Stern strahlt, aber aus einer anderen, bereits untergegangenen Galaxie.
 
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Die Waffe des Politikers ist das Wort. Zumal in Zeiten ungeklärter Machtfragen. Das geschliffene Wort wirkt wie die scharfe Klinge, die vielseitig eingesetzt werden kann: zum Angriff als auch zur Selbstverteidigung.

Einer, der alle Tricks und Kniffe kennt, ist Dr. Stefan Wachtel. In der DDR war er einst wegen seiner frechen Redensarten inhaftiert, heute unterrichtet er Politiker und Wirtschaftsbosse in der Kunst der guten Rede. Im Morning Briefing Podcast  unterhalte ich mich mit ihm über sein neues Buch „Das Zielsatz-Prinzip“. Darin analysiert er unter anderem die Rhetorik des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama. Wachtel sagt: 

Obama hat Artikulationsprobleme. Aber durch eine gute Methode und durch Training ist er zur Lichtgestalt der Rhetorik geworden. Obama baut Trichter, die immer nach demselben Modell funktionieren: access, altitude, punch: Zugang, Flughöhe, Schlag. Das ist wie ein Trichter: oben breit, unten spitz.“
Und er stellt – für viele wahrscheinlich überraschend – fest:

Gutes Reden und Sex haben etwas gemeinsam: das Spiel von Spannung und Entspannung. Sex ist Spannung und Entladung. Viele Sportarten sind Spannung und Entladung. Und das Reden eben auch. Es ist ein körperlicher Prozess mit Stimme, mit Bauch, mit Bewegung.“

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In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen humorvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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