Ifo-Präsident im Interview
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
24.03.2020
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Credit: Deutsches Historisches Museum
Guten Morgen Gregor Hochreiter,

die Infektionswege zwischen Virus und Volkswirtschaft sind kurz. Corona kennt die Abkürzungen:

► Weltweit könnte die soeben gestartete Weltwirtschaftskrise bis zu 24,7 Millionen Jobs kosten, sagt die International Labor Organisation in Genf. Nach der Finanzkrise 2008 gingen weltweit rund 22 Millionen Jobs verloren. 

James Bullard, Mitglied des Führungsgremiums der US-Notenbank, sieht die amerikanische Arbeitslosenquote im zweiten Quartal sogar auf 30 Prozent hochschießen. Zum Vergleich: Im Laufe der Weltwirtschaftskrise in den Dreißigerjahren lag die höchste Arbeitslosenquote in den USA bei knapp 25 Prozent.

► Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller antwortet auf die Frage, wie tief die Kurse an den Börsen noch fallen werden: „Die Krise wird noch immer unterschätzt.“
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► Der Star-Ökonom Kenneth Rogoff, der Finanz- und Wirtschaftskrisen der vergangenen 800 Jahre untersucht hat, sagt:

Wir erleben die erste wirklich globale Krise seit der Großen Depression 1929.“  

► In der „New York Times“ weist Kolumnist und Morgan-Stanley-Investor Ruchir Sharma auf das Risiko hin, dass staatliche Rettungsprogramme die eine Krise bekämpfen, indem sie die nächste vorbereiten:  

Je länger die Pandemie dauert, desto größer ist das Risiko, dass sich der starke Abschwung in eine Finanzkrise verwandelt, in der Zombie-Unternehmen wie die Subprime-Hypotheken im Jahr 2008 eine Kette von Ausfällen einleiten.“

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dpa
 
► Der Ex-Deutschlandchef von Goldman Sachs, Alexander Dibelius, erwartet die „größte globale Rezession seit 100 Jahren“. Der Investor und Mediziner, in seinem ersten Leben war Dibelius Assistenzarzt in der Herzchirurgie, zeigt sich im großen „Handelsblatt“-Interview besorgt, auch über die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Pandemie

Der nahezu diskussionslose und mit dem zusätzlichen moralischen Zeigefinger implementierte kollektive Shutdown der Wirtschaft und des Sozialwesens macht mir mehr Angst als diese Virusinfektion.

Politische Akteure, die in einer demokratisch verfassten Gesellschaft widerstandslos einen Shutdown durchsetzen können, beunruhigen ihn:

Wer nur mit genug Führungsanspruch auftritt und seine Ideen lang genug als alternativlos postuliert, könnte das Land künftig in Geiselhaft nehmen und jedes Ziel durchboxen, das gerade opportun scheint.“

Das Versprechen der Politiker, dass wir das Ganze ohne erheblichen Wohlstandsverlust bewältigen könnten, ist leider unseriös.“
Fazit: Die Folgen der Pandemie für die globale Wirtschaft sind riesig. Auf den Straßen können wir sie im Moment schon sehen – bald werden wir sie auf unseren Konten auch spüren. Corona macht erst Angst, dann arm. Dieser Virus schafft das, was die Amerikaner einen „life changing moment“ nennen.
 

Der historisch einmalige Kursverfall an den deutschen Wertpapierbörsen ist atemberaubend:

VW verlor seit dem Höchststand im April 2015 über 63 Prozent seines Wertes.

BMW verlor seit dem Höchststand, ebenfalls im April 2015, rund 65 Prozent seines Wertes.

► Für Sportartikelhersteller Adidas, der erst im Januar seinen historischen Höchststand erreichte, ging es seither um 42 Prozent nach unten. 

► Der gesamte Dax, das rechnet der Chief-Investment-Officer der Deutschen Bank, Dr. Ulrich Stephan, vor, notiere an den Wertpapiermärkten unterhalb seines Buchwertes. Das heißt: In der Bilanz schlummern dank Maschinenpark, Gebäuden, Bargeld und Patenten höhere Werte als es die Börsenkurse ausweisen.

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Diese Unterbewertung lockt die Spekulanten wie das Blut im Wasser den Hai. Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist alarmiert. Er wandte sich gestern persönlich an die Hedgefonds-Manager und machte deutlich, dass der Staat notfalls Firmen teilweise oder ganz übernehmen werde. Man lege es nicht darauf an, „aber unser Land muss sich schützen können“. Die Regierung verfüge über den geeigneten Instrumentenkasten und werde „im Bedarfsfalle auch handeln“.
 
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dpa
 

Weite Teile der Wirtschaft sind durch die Quarantänebestimmungen und die verbreitete Furcht vor einem großen Sterben in Schockstarre verfallen. Gastronomie und Event-Business liegen am Boden. Die Autoindustrie und ihre Zulieferer haben den Betrieb eingefroren. 

Die Banken müssen tatenlos mit ansehen, wie ihre Kreditausfälle steigen. Von den 500 Filialen der Deutschen Bank bleiben – aus Sicherheitsgründen, was zugleich Kosten spart – vorerst nur 290 geöffnet. Wer am Himmel noch eine Lufthansa-Maschine fliegen sieht, wird Zeuge einer Rarität: 700 der 763 Flugzeuge der Flotte bleiben mittlerweile am Boden. Der Flughafen Frankfurt gleicht einem großen Parkplatz. Lufthansa-Chef Carsten Spohr erklärt: „Aus kommerzieller Sicht ergibt Fliegen zu diesen Zeiten keinen Sinn mehr.“ 

 
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Prof. Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Morning Briefing Podcast  spricht er über die Szenarien, die sein Team  errechnet hat:

► Bei einem dreimonatigen Teilstillstand der Wirtschaft könnte die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um bis zu 20,6 Prozent schrumpfen – das würde Wohlstandsverluste von bis zu 729 Milliarden Euro bedeuten. 

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► Bei einem zweimonatigen Stillstand sei immer noch mit Verlusten von fast 500 Milliarden Euro zu rechnen. Zum Vergleich: Der Bundeshalt umfasst ein Volumen von 362 Milliarden Euro.

► Jede weitere Woche Teilschließung würde zusätzliche Kosten von 25 bis 57 Milliarden Euro und damit einen Rückgang des Wachstums um 0,7 bis 1,6 Prozentpunkte bedeuten. 

► Im Arbeitsmarkt könnten laut Ifo-Rechnung bis zu 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtige Jobs verloren gehen – sechs Millionen Menschen seien dann von Kurzarbeit betroffen. 

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Fuest ist nicht Pessimist, sondern Realist. Er versucht gar nicht erst, den Sachverhalt zu beschönigen:

Wir reden hier über Größenordnungen, die weit jenseits dessen liegen, was wir aus der Finanzkrise kennen.“

Nur wenige Branchen – beispielsweise die Internet-, die Pharma- oder die Lebensmittelindustrie – könnten profitieren. Das Gros der Unternehmen aber werde in diesem Jahr keine Gewinne erwirtschaften können:

Ich denke, es werden fast flächendeckend rote Zahlen werden.“

Die staatlichen Hilfsprogramme werden die Folgen dämpfen, aber nicht aufheben:

Es ist eine Krise, gegen die man nicht wirklich anfinanzieren kann.“

Fuest plädiert für eine Gratifikation jener Menschen, die derzeit im Gesundheitswesen und im Lebensmitteleinzelhandel unter hohem persönlichem Risiko Großes leisten:

Ich bin der Meinung, das sollte man honorieren, auch in dem man Risikozuschläge zahlt.“ 

Recht hat er: Ein Dankeschön an Kassierer und Krankenschwestern ist diesmal nicht genug. Die Krise sollte uns demütig und großzügig machen. An dieser Stelle ist Geiz nicht geil, sondern unanständig.
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Erstens: Der Bundestag bereitet sich auf den Ernstfall vor. Das Parlament soll bereits mit 25 Prozent der Abgeordneten beschlussfähig werden, da wegen der Corona-Pandemie mit gravierenden Ausfällen zu rechnen sei. Dafür soll die Geschäftsordnung des Bundestages geändert werden. Normalerweise bedarf es einer Anwesenheit von 50 Prozent der Abgeordneten. 

Zweitens: Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) kündigt neue Maßnahmen im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise an. Nach den Zinssenkungen sollen jetzt auch unbegrenzt Anleihen gekauft werden. 

Drittens: Die EU-Wirtschafts- und Finanzminister haben dem Vorschlag der Kommission, die Schulden- und Defizitregeln vorübergehend auszusetzen, zugestimmt. Normalerweise darf das Haushaltsdefizit der EU-Länder höchstens drei Prozent und der Schuldenstand höchstens 60 Prozent der Wirtschaftskraft betragen. Diese Normalität hat aufgehört zu existieren.

Viertens: Wirtschaftsminister Peter Altmaier berät heute per Videokonferenz mit Wirtschaftswissenschaftlern und Vertretern der Bundesbank über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Die Szenarien des Ifo-Instituts (siehe oben) liegen vor ihm auf dem Tisch.

Fünftens: In den USA sind Verhandlungen über ein billionenschweres Konjunkturpaket zur Bekämpfung der Coronakrise gescheitert. Im Senat blockierten die Demokraten, da das Paket nicht genug Hilfe für Arbeiter, Krankenhäuser und Bundesstaaten vorsehe. Corona ist wichtig, der Präsidentschaftswahlkampf ist wichtiger.

 
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In unserer neuen Folge des Podcast-Zyklus „Der achte Tag: Deutschland neu denken“, der gestern Abend um 21.00 Uhr erschienen ist, kommt Motivationstrainerin Antje Heimsoeth zu Wort. Von der 55-jährigen Bestsellerautorin, die Dax-Vorstände und Spitzensportler in ihrer mentalen Fitness unterstützt, können wir lernen, wie Krise sich in Kraft transformieren lässt. Sie sagt:

Hätte, könnte, würde – das hilft uns nicht weiter in der Krise. Wir können das Leben nur nach vorne gestalten und nicht rückwärts.“ 

Ihr Rat:

Aufrichten und weitergehen.“

Die neue Folge mit dieser aufbauenden Stimme können Sie direkt bei uns auf der Homepage, bei Spotify und in Kürze auch bei Apple Podcasts abrufen. Haben Sie Fragen oder Anregungen? Schicken Sie mir diese gerne zu: der-achte-tag@mediapioneer.com

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Viele Musiker – darunter John Legend, Chris Martin von Coldplay und Klaviervirtuose Igor Livit – erfreuen derzeit ihr Publikum durch Wohnzimmerkonzerte, die auf Instagram und YouTube live übertragen werden. Immer geht es auch darum, die Zeit der Quarantäne zum Ausbau von Relevanz und Reichweite zu nutzen. Der Geschäftstrieb überlebt spielend jeden Virus.

Es gibt allerdings auch Helden des musikalischen Rückzugs, wie am Sonntagabend auf der Nordseeinsel Pellworm zu besichtigen war. Dort steht in der Alten Kirche die weltberühmte Orgel von Arp Schnitger, die, über 300 Jahre alt, eben erst in dem Kinofilm „Deutschstunde“ ihren Auftritt hatte. 

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Nun aber erteilt nicht Siegfried Lenz, sondern Corona die Lektionen. Das heißt: Kirchentür geschlossen, Gottesdienst abgesagt, die Gemeinde vertrieben.

Da wehen am Sonntagabend plötzlich verbotene Klänge übers Marschland. Die Neugier treibt mich zur Kirchentür, die nur angelehnt ist. Drinnen spielt die Organistin im menschenleeren Kirchenschiff. Sie tut es nicht für Fans und Follower, sondern für sich – mit einer geradezu trotzigen Virtuosität, die ich auf Twitter und Facebook für Sie dokumentiert habe: Ein Konzert gegen die Einsamkeit.

Ich wünsche Ihnen einen erfreulichen Start in diesen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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