Europäische Spendierfreudigkeit | Wirecard: 1 Pleite, 1000 Fragen
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
21.07.2020
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Guten Morgen Gregor Hochreiter,

die Zeit der friedlichen Koexistenz zwischen China und dem Westen darf als beendet gelten. Der neue Kalte Krieg, der als scheinbar harmloser Zollstreit begann und sich über die Technologiepolitik erhitzte, hat das Minenfeld der Menschenrechte erreicht. Eine Koalition der Streitbaren, angeführt von den USA, Kanada und Australien, wird seit gestern von Großbritannien unterstützt:

► Der britische Premier Boris Johnson schloss Chinas Vorzeigefirma Huawei vom Aufbau des britischen 5G-Netzes aus.

► Er ordnete an, dass jegliche Huawei-Komponenten bis 2027 aus den britischen Telekommunikationsnetzen entfernt sein müssen.

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► Er bietet potenziell drei Millionen Bürgern Hongkongs an, dass sie Visa bekommen und sich dauerhaft in Großbritannien niederlassen dürfen.

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► Und er will das neue Marine-Schiff „HMS Queen Elizabeth“ – den Stolz der einstigen Seefahrer-Weltmacht Großbritannien – zur Verstärkung der Alliierten im Südchinesischen Meer einsetzen. China soll psychologisch und bei Bedarf auch militärisch eingeheizt werden.

Fazit: Es ist vor allem die Freiheitsbewegung in Hongkong, die der antichinesischen Bewegung Auftrieb gibt. Die ökonomischen Gründe, die aus Sicht des Importweltmeisters USA schon seit längerem für ein Zurechtstutzen des Exportweltmeisters China sprechen, lassen sich damit wunderbar verpacken: außen das Kreuz, innen der Dollar. 

 
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Beim EU-Sondergipfel, der am Freitag begonnen hatte, gab es gestern Abend einen Durchbruch. Die Staats- und Regierungschefs der Geberländer öffneten – nachdem sie sich tagelang geziert hatten – schließlich doch ihre Brieftaschen.

► Statt der von Deutschland und Frankreich angebotenen 500 Milliarden Euro sollen nun 390 Milliarden Euro als Geldgeschenke bereitgestellt werden. Vor allem südliche EU-Staaten wie Italien, Spanien und Portugal profitieren.

► Immerhin: Österreich, Dänemark, Schweden, die Niederlande und Finnland hatten mit ihrem Pochen auf mehr Sparsamkeit die Spendierfreudigkeit reduziert. Das Paket als Ganzes zu sprengen, hat man sich nicht getraut.

Den Durchbruch brachte ein schmutziger Hinterzimmerdeal. Denn die Zustimmung der sparsamen Länder wurde teuer erkauft:

Österreich bekommt nun bis 2027 einen Beitragsrabatt von 565 Millionen Euro pro Jahr (statt 137 Millionen), Wien muss also in sieben Jahren rund vier Milliarden weniger nach Brüssel überweisen als zunächst geplant.

► Auch die anderen Kritiker des Corona-Fonds profitieren mit hohen Geldsummen: Der Rabatt der Niederlande beträgt künftig 1,9 Milliarden statt der bisherigen 1,6 Milliarden Euro.

Dänemark erhält laut Vorschlag des Ratspräsidenten einen Abschlag von 322 Millionen pro Jahr, Schweden 1.069 Milliarden Euro pro Jahr.

► Besonders kritisch sind die Pläne auch deshalb, weil die EU für das Corona-Programm erstmals in großer Dimension gemeinsame Schulden aufnehmen will. Der Ökonom Prof. Hans-Werner Sinn warnt:

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Wenn wir jetzt alles über Staatsschulden finanzieren, die am Ende wie schon in den letzten Jahren mit frisch gedrucktem Geld abgelöst werden, besteht die Gefahr, dass sich die Geschichte wiederholt und wir zur Beseitigung des mittlerweile riesigen Geldüberhangs, ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe, eine heftige Inflation kriegen.“ 

Der Chef der Wirtschaftsweisen, Prof. Lars Feld, erhebt ebenfalls warnend den Finger:

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Die gesamtschuldnerische Haftung bedeutet ein hohes finanzpolitisches Risiko für jeden einzelnen Mitgliedstaat. Das darf keinesfalls passieren.“

Doch die Stimmen der Mahner dringen zu den in Paris, Berlin und Brüssel tonangebenden Schichten nicht mehr so recht durch. Die schuldenfinanzierten billionenschweren Programme für die Bekämpfung von Klimaerwärmung, Corona und Armut sind die Mode der Saison.

Der Typus des Ordnungspolitikers ist vor längerem schon ausgestorben. Das neue: Er fehlt, aber er wird nicht mehr vermisst. Der französische Schriftsteller und Filmregisseur André Malraux hat es geahnt:

In der Politik ist es manchmal wie in der Grammatik: Ein Fehler, den alle begehen, wird schließlich als Regel anerkannt.“

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Mein Kollege Stefan Lischka hat heute früh mit Guntram Wolff gesprochen, dem Leiter des Brüsseler Thinktanks Bruegel, um die Ergebnisse des EU-Gipfels zu analysieren. Im Morning Briefing Podcast  sagt Wolff:
Diese Beschlüsse bedeuten eine Veränderung der Natur dieser Europäischen Union, und deswegen hat es auch vier Tage gedauert, eine Einigung zu bekommen. Das ist etwas Neues. Es ist tatsächlich ein echter Versicherungsmechanismus. Und bei einer Versicherung ist es ja auch so, wenn Sie krank sind, müssen Sie Ihre Arztkosten nicht zurückzahlen, sondern nur weiterhin Ihre Beiträge.“ 
Es gibt Mechanismen, um schlecht verwendetes Geld und weitere Auszahlungen zu stoppen. Da würde ich mir eine harte Durchführung der Kommission wünschen. Die Kommission muss dann auch den bösen Polizisten spielen. Wenn sie das nicht macht, verliert die EU an Glaubwürdigkeit bei den Bürgern.“
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Im Posteingangskörbchen von Peter Altmaier und Olaf Scholz dürfte in Kürze eine Einladung zum Kaffee ohne Kuchen eintreffen.

Der Finanzauschuss des Deutschen Bundestages will die Rolle der beiden Bundesminister im Wirecard-Skandal untersuchen. Für die Sitzung am 29. Juli – so hat man es gestern beschlossen – werden beide geladen.

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Der bisherige Versuch von Minister Scholz, nur scheibchenweise aufzuklären und sich selbst zu bescheinigen, bei der Aufsicht über Wirecard keine Fehler gemacht zu haben, ist krachend gescheitert.“

So trompetet der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar.

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Der Hintergrund: Er und einige andere Abgeordnete der Opposition hegen den Verdacht, das Finanzministerium könnte dem Wirecard-Vorstand Protektion gewährt haben. Fakt ist: Die Finanzaufsicht Bafin verhängte im vergangenen Jahr ein Leerverkaufsverbot gegen Wirecard. Die aus London gegen das Unternehmen erhobenen Vorwürfe wurden dadurch diskriminiert und kriminalisiert. Ministerium, Bankenaufsicht und das Unternehmen bildeten seinerzeit eine Wagenburg.

Die Fragen der Abgeordneten sind bislang noch unbeantwortet: Hat die Spitze des Finanzministeriums dieses Vorgehen der Bafin nicht nur gedeckt, sondern womöglich angestoßen? Was genau wurde in den Gesprächen zwischen dem Finanzministerium und der Bafin-Spitze besprochen und womöglich zugesagt? Warum hat an dem Gespräch zwischen Finanzstaatssekretär Jörg Kukies mit Ex-Wirecard-CEO Markus Braun am 5. November 2019 kein Beamter des zuständigen Fachressorts teilgenommen?

Fazit: Der größte Anlegerskandal der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland bedarf der Aufklärung. Lückenlos. Nur ein Untersuchungsausschuss kann die Aktenschränke von Ministern, Staatssekretären und Bankenaufsehern öffnen.

 
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Am heutigen Morgen sieht man klarer: Mindestens fünf verletzte Polizisten und eine Schneise der Verwüstung sind die Bilanz der Frankfurter Krawallnacht von Samstag auf Sonntag. Die Verdächtigen seien laut Polizei zwischen 17 und 23 Jahre alt, überwiegend „polizeilich bekannt“ und hätten „vorwiegend“ einen Migrationshintergrund

Die Szenen erinnern an die Ausschreitungen, die sich Ende Juni in Stuttgart ereigneten. Dort hatten ebenfalls Hunderte junge Männer randaliert und sich scheinbar spontan gegen Polizeibeamte zusammengetan. Von 25 Verdächtigen, die noch in der Nacht festgenommen wurden, besaßen laut Polizeivizepräsident Thomas Berger zwölf die deutsche Staatsangehörigkeit, davon drei mit Migrationshintergrund. Die übrigen waren Staatsbürger unter anderem von Bosnien, Portugal, dem Iran, dem Irak, Kroatien, Somalia und Afghanistan.

Die Versuche, diese Straftaten medial zu verniedlichen, sind nicht hilfreich. Die „Frankfurter Neuen Presse“ sprach von „ausufernden Partys“  die Stuttgarter Polizei zunächst von „Party- und Eventszene“, wovon sich die Stuttgarter Clubs unverzüglich distanzierten. In Videoclips, die der Sender n-tv analysiert hatte, ertönte in diversen Szenen der muslimische Ruf „Allahu akbar“.

Fazit: Die Kluft zwischen dem Bürgertum und dem politisch-medialen Establishment wird durch verbale Maskierung nur vergrößert. Deutschland hat ein Migrantenproblem, das politisch adressiert gehört. Auch hier gilt, was die holländische Gruppe Bots in dem Song „Wer schweigt, stimmt zu“, einst gedichtet hat:

Reden ist Silber
Und Schweigen ist Gold,

Wer Gold hat, kann schweigen
Doch wer hat das gewollt,

Dass du nach der Weise
Entmündigter Greise
Nur heimlich und leise
Das Unrecht verfluchst.

Denn schweigst du nur immer
Wird alles noch schlimmer,
Siehst nie einen Schimmer
Vom Recht, das du suchst.

Denn für den, der nichts tut,
Der nur schweigt so wie du,
Kann die Welt, wie sie ist, auch so bleiben,

Wer schweigt, stimmt zu.“ 
 
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Das Jahr 2020 wird als Jahr der Maske in die Geschichte der Welt eingehen. Ohne die Mund- und Nasenbedeckung, die mit Gummizug hinters Ohr gespannt wird, kann man nirgendwo mehr das Haus verlassen.
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Der anfängliche Glaube, die Maske sei nur ein Übergangsphänomen, erwies sich als Irrglaube. Dystopia ist überall. Immer mehr Staaten verschärfen in diesen Tagen ihre Hygienevorschriften:

► Österreichs Kanzler will die erst im Juni gekippte Maskenpflicht angesichts steigender Infektionszahlen wieder erneuern

► Die Schweiz, die lange Zeit auf Freiwilligkeit gesetzt hatte, bekennt sich seit Juli zum verpflichtenden Mund- und Nasenschutz im öffentlichen Nahverkehr. 

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► Frankreichs Präsident Macron hat die schon bestehende Maskenpflicht von Bussen und Bahnen nun auch auf Banken, Markthallen und Kultureinrichtungen ausgeweitet.

► Selbst Donald Trump bezeichnete die Maske bei dem Besuch eines Krankenhauses als „großartig“, obgleich er von einer Maskenpflicht weiterhin Abstand hält.

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Auch ökonomisch hat das ganze Folgen: Die bisherige Maskenweltmacht China wird durch den Wunsch nach nationaler Maskenkompetenz mittlerweile herausgefordert. Bis Jahresende 2021 werden rund 3,6 Milliarden Masken aus deutscher Produktion zur Verfügung stehen, verspricht der Gesundheitsminister. 
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Twitter/@djbaskin
 

Dass die Maskennation Deutschland auch künftig eine Handynation bleiben kann, verdankt sie der Künstlerin Danielle Baskin  aus San Francisco. Die hat eine biometrische Atemschutzmaske entwickelt, die man mit dem eigenen Gesichtszug bedrucken lässt. Damit funktioniert trotz Maske das Entriegeln des Smartphones

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Twitter/@djbaskin
 
So retten wir einen Teil der alten in die neue Normalität. Schon ertappt man sich dabei, die Ära von 9/11, Lehman-Pleite, Eurokrise und beginnender Klimaangst als die gute alte Zeit zu empfinden.

Ich wünsche Ihnen einen optimistischen Start in den Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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