Merkel zum Exit | Obama für Biden
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
15.04.2020
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Guten Morgen Thomas Schulze,

die Staatsverschuldung dürfen wir uns wie eine weltweite Pandemie vorstellen. Sie breitet sich in hohem Tempo aus, hat Länder und Systemgrenzen überwunden und mittlerweile alle Industriestaaten infiziert. Der wichtigste Unterschied zur Corona-Pandemie ist dieser: Keiner bekämpft mit gleicher Leidenschaft die Staatsverschuldung. Im Gegenteil: Mit immer neuen Krediten versuchen sich die Staaten gegen den Kollaps ihrer Wirtschaft zu immunisieren. Die Krise wird also dadurch bekämpft, dass man die nächst größere vorbereitet.

Wenn gegen Covid-19 längst ein Impfstoff gefunden sein wird, dürfte das Leiden der Menschheit an diesem Zukunftsverzehr immer spürbarer werden. Denn die epidemische Ausbreitung der Staatsschulden zerstört das Vertrauen in das Geldsystem, entwertet schließlich die angesparten Vermögen und bedeutet für künftige Generationen eine Last, die sie kaum werden tragen können.

Der Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Coronavirus ist kein feuilletonistischer, sondern ein politisch-ökonomischer. Die Politiker haben sich weltweit darauf verständigt, dass möglichst niemand die Folgen der Coronakrise spüren darf, weshalb auf vielerlei Wegen die Staatsverschuldung in bisher nicht gekanntem Ausmaß gesteigert wird.

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In den USA haben sich Republikaner und Demokraten auf umfangreiche Finanzhilfen geeinigt. Insgesamt fallen über zwei Billionen US-Dollar an – es ist das bislang größte Rettungspaket der US-Geschichte. Die Geldschöpfung durch die Notenbank ist in diesen Rechnungen nicht berücksichtigt.

Auch in Japan hat man sich entschlossen, die schon bisher wuchtige Schuldenpolitik mit neuen Programmen zu überbieten. 108 Billionen Yen, umgerechnet etwa 919 Milliarden Euro, hat die Regierung für Konjunkturmaßnahmen angekündigt. In der Finanzkrise 2008 war das Hilfspaket mit 75 Billionen Yen noch deutlich bescheidener.

In Deutschland, der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, stellt die Bundesregierung bislang hohe dreistellige Milliardenbeträge für Hilfsmaßnahmen bereit. Die Schwarze Null ist damit Geschichte. 156 Milliarden Euro – finanziert durch neue Schulden – hat der Bundestag für den Nachtragshaushalt 2020 freigegeben. Für mittelgroße Firmen steht ein Kreditprogramm über die staatliche Förderbank KfW bereit. 

Mit dem Vertrag von Maastricht, dessen Vorgaben die Bundesregierung in den vergangenen Jahren erreicht hatte, wird nun auch hierzulande gebrochen: 2020 könnte Deutschlands Schuldenquote von unter 60 Prozent auf 75 Prozent des BIPs steigen, wie gerade erst die Nachrichtenagentur dpa aus dem Stabilitätsprogramm 2020 zitiert hat, das die Bundesregierung der EU-Kommission vorlegen will. 

In der Eurozone haben sich die Finanzminister bislang auf ein 500 Milliarden Euro schweres Rettungspaket geeinigt, das Kredite für kleine wie auch mittelständische Unternehmen sowie in Schwierigkeiten geratene Staaten vorsieht. Gestritten wird noch über weitere Maßnahmen wie die Auflage sogenannter Eurobonds, auch wenn die Namen dafür wechseln. EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis stellte eben einen „Wiederaufbaufonds“ in Höhe von 1,5 Billionen Euro zur Diskussion.

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Diese Maßnahmen in ihrer Monstrosität zu thematisieren, heißt nicht, sie in Gänze abzulehnen. Der britische Ökonom und Mathematiker John Maynard Keynes hat in seinem Standardwerk „The General Theory of Employment, Interest and Money“ genau das empfohlen, was jetzt passiert: Der private Nachfrageausfall – der durch den Shutdown der Wirtschaft quasi per Knopfdruck herbeigeführt wurde – muss durch staatliche Liquidität kompensiert werden, um so die Privatwirtschaft nach dem Ende der Quarantäne zu neuem Wachstum anzuregen.
The boom, not the slump, is the right time for austerity at the Treasury.“
Der Aufschwung, nicht der Einbruch, ist der richtige Zeitpunkt für Sparmaßnahmen des Fiskus.“
Aber exakt dieser Satz von Keynes, dass im Aufschwung der Staat sich mäßigen muss, wird seit Jahrzehnten überhört. Die kluge Idee des „cycling budgeting“, des Staatsbudgets, das mit dem Wirtschaftszyklus atmet, hat sich nicht durchgesetzt.
Fazit: Nicht der angewandte Keynesianismus, sondern der nur halb angewandte Keynesianismus bedroht die Geldwertstabilität. Er lässt Imperien und Privatvermögen erblühen, bevor er sie verwelken lässt. Oder um es mit Milton Friedman, dem späteren Gegenspieler von Keynes, zu sagen: „Die Inflation ist die einzige Steuer, die nicht vom Parlament verabschiedet werden muss.
 
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Aber wo kommt dieses Geld eigentlich her, das der Staat in diesen krisenhaften Tagen so fleißig verteilt? Und was bedeutet die Rettungspolitik für die Stabilität unseres Gemeinwesens? Darüber unterhalte ich mich im Morning Briefing Podcast  mit Prof. Bernd Raffelhüschen, Ökonom und Direktor des „Forschungszentrums Generationenverträge“ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er sagt:

Wir wissen auf jeden Fall eines: Die Staatsverschuldung, egal ob es die sichtbare oder unsichtbare ist, wird dramatisch steigen.
Die Steuerausfälle, die wir haben bei einem Sozialprodukt, das um fünf, sechs oder sieben Prozent sinkt, sind ja noch mal um einiges höher, weil wir ein progressives Steuersystem haben. Das heißt, dort müssen wir mit Sicherheit mit 10 bis 15 Prozent Steuerausfällen rechnen. Und wenn dann zusätzlich Ausgaben gemacht werden, von 150, 200 oder 250 Milliarden Euro, dann werden wir unsere Staatsverschuldung, die ja doch relativ gut konsolidiert gewesen ist in den vergangenen Jahren, wahrscheinlich wieder auf ein Niveau von 70, 80, vielleicht sogar 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts schrauben.
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Die bisherigen Schätzungen von Prof. Raffelhüschen, nach denen – wenn der Staat 30 Jahre lang so weiter wirtschaftet wie bislang – den Bürgern für die Einhaltung staatlicher Sozialversprechen etwa zwei Drittel ihres Gehaltes abverlangt werden muss, seien nach dieser Pandemie zu optimistisch, so Raffelhüschen:

Wir werden schon in den nächsten Jahren 40 Prozent Sozialausgaben oder die Beitragsquote an Arbeitnehmerentgelten nicht mehr halten können. Und dann haben wir schon eine Situation, wo ein durchschnittlicher Beschäftigter zwei Fünftel seines Lohnes zunächst für die sozialen Sicherungssysteme abgibt.“
Fazit: Wer sich ein ungeschminktes Bild der neuen Lage machen will, sollte diesen Podcast auf keinen Fall versäumen. Man muss Raffelhüschen nicht zustimmen. Aber man sollte ihm zuhören.
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Donald Trump rüttelt an einem der amerikanischen Verfassungsprinzipen, der Dezentralität von Macht. „Wenn jemand Präsident der Vereinigten Staaten ist, ist die Macht allumfassend“, sagte der Staatschef während eines Pressebriefings im Weißen Haus. Föderalismus hin oder her, über das Ende des coronabedingten Shutdown entscheide in letzter Instanz nur einer: er.

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Im Land von „Checks and Balances“ herrscht Entsetzen. Mehrere Gouverneure wiesen Trumps Äußerungen zurück: Die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit liege gemäß dem föderalen System der USA bei ihnen. Verfassungsexperten nickten heftig.

Das Medienecho teilte sich. „CNN“-Moderator Jim Acosta nannte den Auftritt Trumps „bislang größten Ausraster“. „MSNBC“-Journalist Sam Stein: „Es ist absurd.

„Fox-News“ dagegen betont die Erfolge im Kampf gegen die Pandemie: Die Todesfälle gingen zurück, diese „wundervollen Nachrichten“ seien ein Beispiel dafür, dass „Amerikaner Wunder vollbringen können –  dank ihrer Entschlossenheit und der unermüdlichen Führungskraft eines Präsidenten mit bemerkenswerter Voraussicht.

Damit ist die Verfassungsfrage nicht geklärt – wohl aber die mediale Schlachtordnung für den Kampf ums Weiße Haus.

 
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Der frühere US-Präsident Barack Obama hat seinem einstigen Stellvertreter Joe Biden die Unterstützung im Präsidentschaftsrennen zugesichert. In einer am Dienstag auf Twitter  verbreiteten Videobotschaft sagt Obama:
Joe hat den Charakter und die Erfahrung, uns durch eine unserer dunkelsten Zeiten zu führen.“
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Die offizielle Kür des Kandidaten soll bei einem Nominierungsparteitag der Demokraten im Sommer folgen. Biden bedankte sich bei Obama für dessen Unterstützung:

Es gibt niemanden, den ich lieber an meiner Seite hätte.

Das Verhältnis zwischen Obama und Biden war nicht immer so rosig. Während des Vorwahlkampfs im Jahr 2008 sagte Biden  über seinen innerparteilichen Rivalen Obama, dass dieser „noch nicht bereit sei“, Präsident zu werden.

Obama wiederum war im Jahr 2005 als junger Senator im Auswärtigen Ausschuss so gelangweilt von Bidens monotoner Art zu sprechen, dass er einem Mitarbeiter einen Zettel mit folgender Botschaft  zuschob: „Erschieß. Mich. Jetzt.

 
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Erstens: Kanzlerin Angela Merkel berät ab 14 Uhr mit den Ministerpräsidenten über mögliche Lockerungen der Ausnahmesituation. Bereits ab 9:30 Uhr will sie die Beratungen mit den Mitgliedern des Corona-Kabinetts vorbereiten. Im Anschluss an die Schaltkonferenz mit den Länder-Regierungschefs soll die Öffentlichkeit informiert werden.
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Zweitens: Richard von Weizsäcker ist der bis heute bedeutendste Bundespräsident unseres Landes. Unvergessen ist seine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, die er am 8. Mai 1985 hielt. Er mahnte:
Es gab viele Formen, das Gewissen ablenken zu lassen, nicht zuständig zu sein, wegzuschauen, zu schweigen.“
Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
Er wandte sich gegen die Polarisierung einer Gesellschaft, die Meinungsunterschiede erst in Hass und Hass schließlich in Zerstörung verwandele:
Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen. Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
Heute wäre Weizsäcker 100 Jahre alt geworden.

Drittens: Im Kampf gegen die Coronakrise hat das Eurosystem Anfang April innerhalb einer Woche Anleihen im Wert von knapp 37 Milliarden Euro gekauft. Das berichtet die „Börsen-Zeitung“ und beruft sich auf gestern veröffentlichte Daten der Europäischen Zentralbank (EZB). Hochgerechnet auf einen Monat würde sich ein Kaufvolumen von rund 150 Milliarden Euro ergeben – mehr als das Doppelte der gut 66,5 Milliarden Euro, die die EZB und die nationalen Zentralbanken im März investiert hatten.  

Viertens: EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat für heute ein Telefonat mit seinem britischen Kollegen David Frost angekündigt. Es geht um den Fahrplan für die Verhandlungen über die Beziehungen nach dem Brexit.  Bis zum Jahresende gilt eine Übergangsphase, weshalb sich mit dem britischen EU-Austritt Ende Januar bis heute praktisch nichts geändert hat. Der wahre Brexit folgt noch.

Fünftens: Zwölf Kinder sollen aus dem berüchtigten Lager von Moria auf der Insel Lesbos nach Luxemburg ausgeflogen werden. Eine weitere Gruppe mit rund 50 unbegleiteten Minderjährigen soll am Samstag nach Deutschland gebracht werden. Alles gibt es heutzutage im Slimfit-Format, offenbar auch die Menschlichkeit.

 
Der neue Podcast-Zyklus „Der achte Tag will Orientierung bieten und Sinn stiften. Menschen mit verschiedensten Lebenserfahrungen und Zukunftsvisionen kommen zu Wort. In der neuen Folge spricht die Konzeptkünstlerin Mia Florentine Weiss zu uns, die in normalen Zeiten zwischen ihren Ateliers in Berlin, Frankfurt am Main und Los Angeles pendelt.
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Für Mia Florentine Weiss ist Kunst „systemrelevant“, weshalb sie Gemälde, Skulpturen und Installationen am liebsten aus den nunmehr geschlossenen Museen befreien und nach außen verlagern möchte:

Nietzsche hat mal gesagt: Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen. Und jetzt scheint es anders herum. Wahrheit in Gestalt eines Virus lässt uns definitiv zugrunde gehen. Aber ohne Kunst und Kultur. Mein Appell an uns alle: Kunst ist systemrelevant.

 

Volkserziehung leicht gemacht: Mit eiserner Härte werden im Umgang mit den Bürgern derzeit die Abstandsregeln im öffentlichen Raum durchgesetzt. Polizeifahrzeuge und Polizeipferde kommen zum Einsatz, um das erweiterte Infektionsschutzgesetz mit Leben zu erfüllen. Auch die Pressekonferenzen der Kanzlerin finden neuerdings auf Abstand statt.

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Nur im eigenen Kabinett will es mit der Einsicht nicht so recht klappen. Als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sich am Uniklinikum in Gießen mit Experten traf, um sich über die Situation im Gesundheitswesen zu informieren, drängten sich einige der mitgereisten Politiker aneinander wie bei einer studentischen Engtanz-Party.

Spahn, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, Kanzleramtschef Helge Braun und jede Menge Corona-Bekämpfer wurden im übervollen Aufzug beim kuscheligen Fachgespräch erwischt, was das Publikum in den sozialen Medien unverzüglich als Widerspruch von Wort und Tat empfand. Oder um es mit Woody Allen zu sagen: „Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten.

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Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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In der neuen Folge von „The Americans“, dem Podcast von Chelsea Spieker, kommt dieses Mal Rebecca Makkai zu Wort. Die Autorin spricht über ein aktuelles Thema: Optimismus in Krisenzeiten.
 
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