RWE-Chef im Interview | Boom der Privatunis
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
22.01.2020
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Guten Morgen Christian Ortner,
Klaus Schwab, der mittlerweile 81-jährige Zeremonienmeister von Davos, hat ein Paradies gewollt und ein Monster erschaffen. Was als Marktplatz der Welt gedacht war, erweist sich im 50. Jahr nach der Gründung als geschlossene Anstalt, in der die Teilnehmer das Selbstgespräch pflegen. Jeder sendet, niemand empfängt. Drei Münder, kein Ohr: Nirgendwo ist die Deformation der Gegenwart so klar zu erkennen.

Donald Trump und Greta Thunberg, die sich vor Publikum als Widersacher inszenieren, sind in Wahrheit Zwillinge im Geiste. Jeder reklamiert für sich Unfehlbarkeit. Jeder verweigert dem anderen Respekt. Keiner gönnt dem Gegenüber auch nur das kleinste Argument. Schon ein Augenzwinkern gilt als Verrat.
 
Er über sie:
Wir müssen die ewigen Propheten des Untergangs und die Vorhersagen einer Apokalypse ablehnen.“ 
 
Sie über ihn:
Unser Haus brennt noch immer. Eure Untätigkeit heizt die Flammen stündlich an.“
 
Er mag schon ihre Tonalität nicht: 
Dies ist keine Zeit für Pessimismus.“
 
Sie droht:
Meine Generation wird nicht ohne Kampf aufgeben.“
 
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dpa
Und Klaus Schwab? Der Mann, der vor 50 Jahren versprach, einen globalen Dialog zu organisieren, ist der Gastgeber einer verwirrten Gesellschaft, die den Kontakt zum Andersdenkenden weitgehend abgebrochen hat. Die Mikrofone sind offen, aber die Köpfe vernagelt. Alle haben Angst, sich mit fremden Ideen zu infizieren. 
 
Der subversive Charakter von Davos liegt heute darin, dass jeder seine Sprache mitbringt, designt im Windkanal gesellschaftlicher Polarisierung, produziert zur eigenen Überhöhung und um den anderen bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen. Trumps Lieblingsworte: Deal, Sieg, Großartigkeit. Thunbergs Lieblingsworte: Feuer, Panik, Betrug. Dazwischen liegt das Universum des vorsätzlichen Unverstehens.
 
Ähnlich wie die Gipfeltreffen von G7 und G20, bei denen mittlerweile nicht Politiker, sondern Protokollchefs die Regie führen, ist das Forum geistig erstarrt und kulturell erschöpft. Trump akzeptierte keinerlei Fragen, nicht einmal die nach der Uhrzeit. Wie ein Lakai des französischen Hochadels umschmeichelte Klaus Schwab seinen Gast: „Sie haben sich um die Zusammenführung der amerikanischen Gesellschaft wahrlich verdient gemacht.“ 
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Reuters
Greta Thunberg hat derweil ihre eigene Rhetorik der Selbstvergottung entwickelt, die von einem Ausrufezeichen zum nächsten springt. Ihre Rede ist im Grunde keine Rede, sondern eine neutestamentarische Verkündung. Die Gläubigen sind dankbar dafür, dass laut diesem Oratorium nicht nur fossile Brennstoffe, sondern auch Selbstzweifel verboten sind. Der zürnenden Klimagöttin bleiben ebenfalls Fragen erspart. Eine Kaste der Unberührbaren ist entstanden, wie man sie bisher nur im Hinduismus kennt.
 
So wird Davos der Welt keinen Dienst erweisen. Die Geschichte der unumstößlichen Wahrheiten, das lehrt die europäische Erfahrung des 20. Jahrhunderts, ist die Geschichte der Irrtümer. Die säkulare Welt braucht keine Kanzel, sondern die Neuentdeckung einer Kulturtechnik, die wir einst als Zuhören bezeichneten. Die Protagonisten von Davos werden genau diese Botschaft nicht mögen - und der irische Schriftsteller Oliver Goldsmith wusste warum: „Selbstgespräche haben den Vorteil, dass man immer zu Wort kommt.“
 
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dpa
 
In den USA liefern sich derweil Demokraten und Republikaner einen erbitterten Krieg der Worte. Der Grund: das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten. Der inhaltliche Teil des Verfahrens hat begonnen. Der Senat kam dafür am Dienstag zusammen – und schon die Verabschiedung der Regeln führte zum Eklat.

Die Demokraten fordern, dass der Senat neue Zeugen von CIA und aus dem Weißen Haus hört, weitere Dokumente sollen angefordert werden, die Trump belasten könnten. Die Republikaner lehnten ab; den Demokraten sind die Hände gebunden. Die Mehrheit im Senat gehört den anderen und die stehen geschlossen zusammen. Trumps Autorität ist im eigenen Lager ungebrochen, was vor allem an den guten Umfrageergebnissen liegt. Wer gegen ihn aufmuckt, stirbt den republikanischen Kältetod.
 
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dpa
 
Die Einigung zwischen Bundesregierung und Kohleländern ist gerade erreicht, da attackieren Mitglieder der Kohlekommission das soeben Beschlossene als „Irrsinn“. Von den 28 Mitgliedern werfen acht Experten um die ehemalige Vorsitzende Barbara Praetorius der Politik Wortbruch vor. Mit dieser Einigung seien Buchstaben und Geist der Kommissionsempfehlung grob verletzt.
 
Sie sagen:
 
Einige Braunkohle-Meiler sollen deutlich früher als 2038 vom Netz, also vor dem offiziellen Schlussdatum. Die Botschaft: Mehr Ehrgeiz, bitte!

Die Regierung habe den Betreibern „unnötig hohe“ Entschädigungen zugesagt. Der Vorwurf: Geldverschwendung. 

Vor allem die Eröffnung des umstrittenen Kraftwerks Datteln IV sorgt für Empörung, unter anderem beim BUND: „Es geht absolut nicht, dass der deutsche Kohleausstieg mit der Inbetriebnahme eines neuen Kraftwerks beginnt.“
 
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Ausbau der Kernenergie. Mit Volldampf in die Kohle. Abholzung des Hambacher Forstes. Und jetzt Ergrünen mit Sonne, Wind und Biogas: Rolf Martin Schmitz, der 62-jährige RWE-Chef, kennt und verkörpert wie kaum ein zweiter Manager die Irrungen und Wirrungen der Energiekonzerne.
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Bis heute ist sein Unternehmen der größte CO2-Emittent im Dax wie auch in Europa. Noch laufen in seiner Regie verschiedene Atomkraftwerke. Eben erst hat der Bürgerprotest ihn an der Restrodung des Hambacher Forstes gehindert. 
 
Doch Schmitz geht mit der Zeit. Schwungvoll und gut gelaunt kam er gestern ins Podcast-Studio , um zu beweisen: Ich habe verstanden.
 
Bis 2040 will der Konzern klimaneutral arbeiten. Der Anteil der Kohle soll bis 2038 auf null sinken. 

2020 werden bei RWE die erneuerbaren Energien 60 Prozent des operativen Ergebnisses (Ebitda) ausmachen, 20 Prozent sollen auf konventionelle Energieträger entfallen.

Der weltweite Ausbau der Erneuerbaren ist das neue Thema für Schmitz  – und seine Börsenstory. Im März findet der große Kapitalmarkttag der RWE in London statt.
Nur beim Thema des einen neuen Kohlekraftwerkes will er der Umweltbewegung nicht entgegenkommen, zumal das moderne und noch nicht ans Stromnetz angeschlossene Kraftwerk Datteln IV in Nordrhein-Westfalen nicht in sein Reich gehört. Er sagt:
Es ist ein modernes Kraftwerk. Ich kenne es ganz gut, weil ich es selber mal planen durfte, als Chef der E.ON-Kraftwerke damals.“
 
Über die Kritik der Umweltschützer, die jetzt die Inbetriebnahme von Datteln verhindern wollen, sagt er:
Man sollte auch irgendwann mal zufrieden sein.“
 
Eine Rückkehr zur Atomenergie, die als emissionsfreie Alternative von vielen wieder ins Spiel gebracht wird, schließt der RWE-Chef aus: 
Sonne und Wind sind so konkurrenzlos preiswert, dass das die Option ist.“
 
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Vom rasanten Wandel ist er, der immer beides war, teilnehmender Beobachter und Macher, noch immer fasziniert. Zweimal habe er sich in den vergangenen Jahrzehnten getäuscht:
 
Irrtum 1:
Ich habe mir nicht vorstellen können, wie viele Milliarden man investiert, um die Erneuerbaren marktfähig zu machen.“
Irrtum 2:
Ich bin kein Atmosphären-Wissenschaftler, aber was ich beobachten kann, ist, dass auch für mich die Auswirkungen des Klimawandels schneller und dramatischer kommen, als ich es vor fünf oder acht Jahren erwartet hätte.“ 
Fazit: Dieses Gespräch illustriert eine Zeit (und einen Spitzenmanager) im Wandel. Prädikat: erhellend.
 
Es ist im Bundestag schlechter Brauch, dass heikle Gesetze von den Mehrheitsfraktionen kurz vor den Ferien und gern auch spät abends beschlossen werden. Beim „Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen“ war dies in der Weihnachtspause der Fall. Die Abgeordneten kalkulierten mit der Schläfrigkeit der Medien.
 
Doch die Blogger des unabhängigen Internet-Magazins „finanz-szene“ haben aufgepasst. Die Neuregelung im Steuerrecht sorgt nämlich dafür – wie sie ihren Lesern vorrechnen –, dass Steuern auf Börsenverluste gezahlt werden, was bisher als tabu galt. Nur noch bis zu einer Höhe von 10.000 Euro dürfen sie mit Gewinnen verrechnet werden. Danach zahlen die Anleger zweimal – erst an der Börse und dann an Olaf Scholz.
 
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Die Zahl der Studierenden in Deutschland steigt – eine erfreuliche Nachricht, vor allem für den privatwirtschaftlich organisierten Bildungssektor. Zum Wintersemester 2018/2019 war die Zahl der Studierenden an privaten Hochschulen mit fast 250.000 so hoch wie nie und fast zehnmal höher als noch im Jahr 2000 (siehe Grafik). Gefragt sind vor allem private Fachhochschulen, an denen fast neun von zehn Studierenden, hauptsächlich in den Fächern Wirtschafts-, Rechts- oder Sozialwissenschaften, eingeschrieben sind.
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Die Gründe listet heute das „Handelsblatt“ auf:
 
► Privat organisierte Bildungseinrichtungen erweisen sich als agiler, können schneller neue Studiengänge auflegen und anpassen.

► Flexible Studienmodelle und Praxisorientierung machen die Angebote vor allem für Berufstätige attraktiv. 
 
Fazit: So wird das staatliche Versagen in der Bildungspolitik zum Geschäft. Die Zukunftsperspektiven für den privaten Bildungssektor sind rosig. Auf den partiell unfähigen Staat als Zulieferbetrieb ist Verlass.
 
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dpa
 
Kanzlerin Merkel hat die Deutschen aufgerufen, im Alltag Zivilcourage zu zeigen. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Survivors. Faces of Life after the Holocaust“ in Essen sagte sie:
Jedes Porträt hier ist eine Mahnung an uns, für Menschlichkeit einzutreten; eine Mahnung auch, im Alltag nicht zu schweigen und wegzuschauen, wenn jemand angegriffen, gedemütigt und in seiner Würde verletzt wird.“ 
 
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Die neue Episode des Podcasts „The Americans“  mit meiner Kollegin Chelsea Spieker ist jetzt online verfügbar. Ihr heutiger Gesprächspartner ist studierter Mathematiker und baute früher Roboter für die Nasa. Sein Name: Randall Munroe.
Munroe schaffte es bereits mit seinem ersten Buch auf die Bestseller-Listen – vor allem, weil er ein Querdenker ist, der Wissenschaft und Humor verbindet. Inzwischen hat er sein zweites Buch veröffentlicht: „How to“. Es ist ein Ratgeber, von dem der Verlag sagt, dass Leser die Ratschläge keinesfalls befolgen sollten. Er sagt:
Theoretische Physik ist wie Fantasie.“
Das Gespräch finden Sie unter www.the-americans.com und über alle großen Podcast-Kanäle wie Apple, Spotify oder Deezer.
 
Ich wünsche Ihnen einen unbeschwerten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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