Kaeser sucht Schuldigen | BlackRock will grün werden
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
15.01.2020
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Guten Morgen Tanja Welland,

Donald Trump hat nicht allzu viele Freunde, aber dafür jede Menge Glück. Kaum empören sich Millionen iranischer Bürger über ihn und die Tötung des Generals Soleimani, schießt die iranische Regierung aus Versehen ein ukrainisches Passagierflugzeug vom Typ Boeing 737-800 ab. Über Nacht kommt es zur Schubumkehr der Empörung: Jetzt wird gegen das tölpelhafte Mullah-Regime demonstriert.

Der iranische Präsident Hassan Ruhani, der zunächst versucht hatte, die Amerikaner für den Abschuss verantwortlich zu machen, musste nach Tagen der Vertuschung die Unfähigkeit des eigenen Militärs einräumen. Ein Kommandeur der Revolutionsgarde, Amir Ali Hadschisadeh sein Name, warf sich öffentlich in den Staub: „Als ich davon erfahren habe, wünschte ich mir, lieber selbst tot zu sein.“

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Das sei ein „Tschernobyl-Moment“ für das iranische Regime, sagt Sanam Vakil, Iran-Expertin beim Londoner Think Tank Chatham House. Mit „Tschernobyl-Moment“ zieht sie eine Analogie zur Kraftwerksexplosion in der Ukraine im Jahr 1986. In diesem Moment vereinten sich die technologische Unfähigkeit und die kommunikative Inkompetenz des Sowjet-Regimes, die schließlich zum Legitimationsentzug durch das Volk führten. Die Sowjetunion implodierte.

Auch das iranische Regime erlebt 41 Jahre nach dem Sturz von Schah Reza Pahlavi und der Installation einer Islamischen Republik seine schwersten Stunden. Die Wirtschaftssanktionen des Westens haben das Land ausgezehrt. 

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► Seit Ruhanis Amtsantritt ist die Arbeitslosigkeit spürbar gestiegen. Insbesondere unter den 15 bis 24-Jährigen nahm sie deutlich zu.

► Drastisch verschlechtert hat sich auch der Wechselkurs. Bekam man vor 2013 für einen Dollar noch etwa 12 iranische Rial, sind es derzeit 42. 

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► Seit Eintreten der US-Sanktionen 2018 schrumpft Irans Wirtschaft. Für 2019 wird ein BIP von etwa 460 Milliarden US-Dollar prognostiziert, die Wirtschaftsleistung Deutschlands ist fast neunmal so groß. Die Inflation hat sich seit 2017 fast vervierfacht.

„Babys sterben, weil wir nicht ausreichend Medikamente haben“, klagte Außenminister Mohammed Dschawad Sarif kürzlich im Interview mit „CNN“-Nahost-Reporter Frederik Pleitgen: „Trump sollte sich entschuldigen. Das ist Staatsterrorismus.“

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Für den Morning Briefing Podcast  habe ich mit Pleitgen Junior, dem Sohn des legendären „WDR“-Korrespondenten und späteren Intendanten, gesprochen. Eine bedeutende Zahl der Iraner, so Pleitgen, rechnete Soleimani den Kampf gegen die Terrormilizen des Islamischen Staates (IS) hoch an. Der Abschuss des Passagierflugzeuges aber habe die Stimmung gedreht. Die Opposition sei zu einem Machtfaktor gereift:

Demonstrationen dieser Größe habe ich noch nie gesehen.“

Der Iran erlebt eine Explosion der Gefühle.“

Den erforderlichen Oppositionsführer, der der Stimmung ein Gesicht geben könnte, vermag Pleitgen derzeit aber nicht zu entdecken:

Im Moment ist keine Führungsfigur der Opposition zu erkennen. Das ist von den Oppositionellen auch so gewollt, weil die in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht haben, dass Führungsfiguren ganz schnell auch weg sind vom Fenster. Die beiden Leute, die sich 2009 an die Spitze stellten, stehen immer noch unter Hausarrest.

 
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Die Eskapaden von Siemens-Chef Joe Kaeser enden in einer kommunikativen Situation, die selbst erfahrene PR-Profis als herausfordernd empfinden. Die Presselage fällt vernichtend aus: 

„Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt schreibt: 

Der Siemens-Chef hat nicht nur seinem Unternehmen geschadet und damit den Aktionären, sondern der deutschen Industrie überhaupt.“

„Spiegel“-Redakteurin Dinah Deckstein urteilt nicht minder hart:

Der Siemens-Chef steht als Maulheld da, der große Ankündigungen macht, sie am Ende aber selbst nicht einhält.“ 

Thomas Fromm schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“:

Das ist ein Fiasko für die Reputation von Siemens.“

René Höltschi von der „Neuen Züricher Zeitung“ findet folgende Worte: 

Ein Theater, das Kaeser keine Ehre macht.“

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Für „Bloomberg“-Kolumnist David Fickling ist klar:

Kaesers offener Brief mit 1800 Wörtern, in dem er die Entscheidung von Siemens für die Bereitstellung von Eisenbahnsignalen für das umstrittene Kohleprojekt in Australien erläutert, muss als eines der seltsamsten Kommunikationsmittel für Führungskräfte gelten, seit Elon Musk das letzte Mal den Mund geöffnet hat.“

All das verschärft dem „Handelsblatt“ zufolge auch den Machtkampf an der Siemens-Spitze. Die Zeitung lässt heute Morgen einen „Insider“ zu Wort kommen, der schlechte Nachrichten für Kaeser hat:

Jeder, der glaubt, dass das Thema nach zwei Wochen ausgestanden ist, der irrt sich.“

Vera Diehl, Portfoliomanagerin bei Union Investment, sagt:

Die aktuelle Diskussion bestärkt uns darin, schnellstmöglich Klarheit in der Nachfolgeregelung zu fordern.“

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Dem „Handelsblatt“ zufolge ist Kaeser offenbar versucht, die Verantwortung seinem Vize und möglichem Nachfolger Roland Busch zuzuschieben. Dieser leitet ein „Sustainability Board“, in dem das umstrittene Adani-Projekt in Australien Thema gewesen sei. Noch dürfte der Wechsel an der Spitze aber wie geplant ablaufen –„wenn nicht etwas Dramatisches dazwischenkommt“, so der Bericht.

 
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In dieser für die deutsche Wirtschaft insgesamt prekären Situation hat BlackRock-Chef Larry Fink seinen Auftritt. In seinem jährlichen CEO-Brief an die wichtigsten Konzernchefs der Welt  – darunter nicht nur Joe Kaeser, sondern auch Apple-Chef Tim Cook oder Jamie Dimon von JPMorgan Chase – ruft er zu neuem ökologischen Bewusstsein auf. Das vom Klimawandel ausgehende Risiko würde „bislang nur zögerlich zur Kenntnis genommen“.

Aber das Bewusstsein ändert sich rasant und ich bin überzeugt, dass wir vor einer fundamentalen Umgestaltung stehen.“

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Diese Umgestaltung will der BlackRock-Chef, der mit sieben Billionen US-Dollar den weltweit größten unabhängigen Vermögensverwalter führt, nun aktiv vorantreiben:

Künftig werden wir Nachhaltigkeit zu einem wesentlichen Bestandteil unserer Portfoliokonstruktion und unseres Risikomanagements machen. Wir werden uns von Anlagen trennen, die ein erhebliches Nachhaltigkeitsrisiko darstellen, wie zum Beispiel Wertpapiere von Kohleproduzenten.“

Ziehen die Portfolio-Unternehmen nicht mit, kündigt Fink eine harte Reaktion an: 

Wenn wir der Meinung sind, dass Unternehmen und ihre Führungsgremien keine aussagekräftigen Informationen zur Nachhaltigkeit bereitstellen und kein Rahmenwerk für den Umgang mit diesen Themen implementieren, werden wir die Unternehmensführung zur Rechenschaft ziehen.“

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Fazit: Der Blackrock-Boss ist damit Greta Thunbergs effektivster Verbündeter: Fink for Future. Die Vorstandsvorsitzenden von Allianz, RWE, Siemens, Bayer, BASF oder Vonovia, an denen BlackRock laut BaFin als größter Einzelaktionär beteiligt ist, haben allen Grund, das Schreiben ernst zu nehmen. Sein nächster Brief ist womöglich ihre Abmahnung.

 

Der CEO-Brief kontrastiert mit einer Titelgeschichte der heutigen „Börsen-Zeitung“. Dort wird präzise beschrieben, wie BlackRock nach wie vor an den großen Gas- und Ölfirmen dieser Welt beteiligt ist. Dem Bericht zufolge, der sich auf eine Aufstellung des Analysehauses Ipreo aus dem August 2019 beruft, zählt neben der Capital Group sowie DNB Asset Management auch Blackrock zu den größten Besitzern von Aktien großer Öl- und Gaskonzerne wie BP, Royal Dutch Shell, Lundin Petroleum und Saipem. 

BlackRock äußerte sich noch im August 2019 optimistisch zu Investments in Ölgesellschaften, denn „die Investitionen werden nach 2020 steigen müssen, um die Produktion zu steigern“, so die Börsen-Zeitung: BlackRock erwartet den Übergang von fossilen Brennstoffen zu sauberer Energie schneller als viele Ölfirmen, wobei die Ölnachfrage erst „Anfang der 2030er Jahre den Höhepunkt“ erreiche.

Fazit: Will Larry Fink seinem neuen Status als grüner Botschafter gerecht werden muss er mit dem Umbau beginnen, und zwar in der eigenen Portfolioverwaltung. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

 
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Thüringen im Dilemma: Weiter sind keine Mehrheiten für eine Regierungsbildung in Sicht. Die CDU will mitregieren, aber traut sich nicht. Im Markenkern der Konservativen, so die nicht ganz unbegründete Furcht, könnte es zur Kernschmelze kommen. Die gebürtige Thüringerin Judith Enders, Politikwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin, rät im Gespräch mit meinem Kollegen Michael Bröcker für den Morning Briefing Podcast  zu erhöhter Beweglichkeit:

Ostdeutschland bietet sich an für neue Modelle. Die Menschen besitzen eine Transformationserfahrung und einen Erfahrungsvorsprung in Flexibilität. Man kann nicht so lange wählen, bis man angemessene Koalitionsergebnisse erhält.“ 

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist um den Spagat nicht zu beneiden. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage befürworten 43 Prozent der Befragten in Thüringen ein Zusammengehen von Linke und CDU. Im Osten nennt man das Pragmatismus. Tief im Süden Verrat.

 
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Einmal im Jahr rückt in Deutschland die Sprachpolizei zum Großeinsatz aus. Gestern war es wieder so weit: Das Unwort des Jahres ist „Klima-Hysterie“, sagt die Jury, die vom Germanistik-Professor Martin Wengeler von der Universität Trier organisiert wird und aus vier Sprachwissenschaftlern, einem „FR“-Journalisten und einem Kulturschaffenden besteht. 

Unverkennbar will man mit dieser Schmäh-Trophäe die Wirklichkeit kuratieren und die Sprache säubern. Die Worte Lügenpresse, Genderwahn, Gutmensch, Ankerzentrum, Russland-Versteher, Humankapital, Ich-AG und Gotteskrieger wurden bereits in Haft genommen, um sie sodann in die Verliese der Sprachpolizei zu deportieren. Die hohen Kommissare können es nicht ertragen, dass sich die unschuldigen 27 Buchstaben des lateinischen Alphabets immer wieder zu neuer Unbotmäßigkeit vereinen.

Die liberale Demokratie und ein vitaler Journalismus sollten sich diese Übergriffigkeit nicht gefallen lassen. Wir Journalisten werden das Wort Lügenpresse niemals mögen, aber wir sollten es als Denkanstoß verstehen, der diskutiert und nicht verboten gehört. Wir müssen Humankapital nicht goutieren, aber aushalten. Ich-AG ist kein Unwort, sondern eine fast schon geniale Neuschöpfung. Beim Gotteskrieger ist nicht das Wort die Provokation, sondern der Sachverhalt. 

Ein Vorschlag zur Güte: Vielleicht sollten wir die Sprachpolizei einfach abschieben. Zum Beispiel in die Zone medialer Nichtbeachtung. Das wahre Unwort des Jahres ist das Wort „Unwort“.

 
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Immer mittwochs veröffentlicht meine Kollegin Chelsea Spieker ihren Podcast The Americans . Heute spricht sie mit Madeline Miller, 41, einer neuen Heldin der Frauenbewegung: Die Professorin für Griechisch und Latein wird in den Feuilletons hochgelobt für ihren Roman „Ich bin Circe“. Miller rückt darin die griechische Göttin Circe, bekannt aus den Irrfahrten von Homers Odysseus, ins Zentrum ihrer Erzählung. Miller wirbt in diesem Werk für eine Kultur der Mitmenschlichkeit: 

Empathie ist die größte Gnade der Menschheit. Und Kunst ist das große Mittel für Empathie. Geschichtenerzählen bedeutet, dass wir, wenn wir ein Buch lesen, in der Welt eines anderen leben.“

Das gesamte Gespräch hören Sie in der neuen Folge von „The Americans“. Die gibt es unter www.the-americans.com  und über alle großen Podcast-Kanäle wie Apple, Spotify oder Deezer.

 
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Die gute Nachricht zum Schluss: Sandra Maischberger lädt fünf Leserinnen oder Leser des Morning Briefing in ihre heutige Sendung „maischberger. die woche“ ein. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Ranga Yogeshwar sind ihre Gäste im Einzelinterview. Zusammen mit meinen Journalisten-Kolleginnen Pinar Atalay von den „Tagesthemen“ und Ferdos Forudastan von der „Süddeutschen Zeitung“ werden wir uns Mühe geben, die Ereignisse einer turbulenten Woche zu kommentieren: Merkel bei Putin, Joe Kaeser in der Klimafalle – und auf den Spuren von Meghan und Harry bewegen wir uns sicherlich auch.  

Wer also zwischen 18 und 21 Uhr im Studio von Berlin-Adlershof dabei sein möchte, bitte melden: media-pioneer@gaborsteingart.com.

Ich wünsche Ihnen einen entspannten Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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