Interview mit Prof. Hans-Werner Sinn | Notenbank wird Klimaagentur
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
05.12.2019
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Guten Morgen Ulf Froitzheim,

das Wort „Ordnungspolitik“ kann in Brüssel, Berlin und Frankfurt niemand mehr buchstabieren. Die Erinnerung an die segensreiche Wirkung von Wirtschaftswunder-Minister Ludwig Erhard und seine Philosophie von Maß und Mitte ist verblasst. 

Der Staat will in der Wirtschaft nicht mehr länger nur der Schiedsrichter sein. Er will mitspielen. Christine Lagarde und Ursula von der Leyen haben den Rasen bereits betreten.

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Die Europäische Zentralbank in Frankfurt, die Europäische Investitionsbank in Luxemburg und die EU-Kommission in Brüssel verfolgen gemeinsam einen großen Plan, über dessen Risiken und Nebenwirkungen kein nationales Parlament je unterrichtet wurde. Europa will das Weltklima retten – und zwar mit der Notenpresse. Whatever it takes.

 
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Das geheime Drehbuch ist bereits geschrieben. Es sieht wie folgt aus:

► Das EU-Parlament ruft den Klimanotstand aus, wie am vergangenen Donnerstag geschehen. Alles soll dem Ziel untergeordnet werden, „die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.“ 

► Die neue EU-Präsidentin Ursula von der Leyen stellt dazu passend in ihrer Antrittsrede den ökologischen Umbau in den Mittelpunkt. „Ich möchte, dass der Green Deal Europas Markenzeichen wird“, sagte sie. Der Kontinent der industriellen Revolution soll dekarbonisiert werden, um „Klimaneutralität“ zu erreichen.

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► Ausführendes Organ der Operation ist einerseits die Europäische Investitionsbank in Luxemburg, geführt vom deutschen Ökonomen Werner Hoyer, in seinem früheren Leben FDP-Generalsekretär. Die staatliche Förderbank soll bis 2030 Öko-Projekte im Wert von einer Billion Euro konzipieren, kuratieren und finanzieren. 

► Die EZB geht ihr bei der Finanzierung zur Hand – mit Geld aus der Notenpresse. Sie soll im Rahmen ihrer ohnehin laufenden Aufkaufprogramme nun eben in grüne Aktien und Anleihen investieren. Eine Grenzverletzung vermag Lagarde darin nicht zu erkennen: „Klimawandel und Umweltschutz sollten für jede Institution im Mittelpunkt stehen“, sagte sie vor dem EU-Parlament. 

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Die Vorbereitungen für die Geldflutung neuen Typs sind weit fortgeschritten. Die noch von Mario Draghi angestoßene „strategische Überprüfung der EZB-Politik“ läuft. Das werde „eine Gelegenheit sein, darüber nachzudenken, wie Nachhaltigkeitsüberlegungen innerhalb unseres geldpolitischen Rahmens angegangen werden können“, schreibt Lagarde in einem Brief an die EU-Abgeordneten der Grünen.

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Flankiert von Wissenschaftlern und Politikern wird die grüne Wirtschaftslenkung zum letzten Schrei der Politik erklärt. Der Alarmismus von Greta Thunberg und der Interventionismus des John Maynard Keynes vereinen sich. Ein dirigistischer Staat und eine kreditsüchtige Wirtschaft finden zueinander. Es kommt zur Bastardisierung der Verhältnisse.

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Ein neues Kapitel in der europäischen Wirtschaftsgeschichte wird aufgeschlagen. Die Notenbank verlässt die Zuschauertribüne und wird Mitspieler bei der ökologischen Umgestaltung. Sie geht nahtlos von der Banken- zur Klimarettung über. Die Vision einer Planifikation nach französischem Vorbild scheint Wirklichkeit zu werden. 
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Das Hauptrisiko dieser Aktion soll der deutsche Steuerzahler tragen, der davon freilich nichts ahnt. In der Bilanz der EZB haftet er gemäß Kapitalschlüssel mit derzeit bereits etwa 200 Milliarden Euro. Das entspricht dem Bundeswehretat von fast fünf Jahren. 

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Der Haushaltsausschuss kennt die Pläne von EZB, EU-Kommission und Investitionsbank und hat sich dennoch damit offiziell bis heute nicht befasst. Die Abgeordneten sind nicht links und nicht rechts, nur schläfrig. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann kennt das Drehbuch auch. Er murrt nur halblaut vor sich hin, hat Angst, sich ins Gleisbett zu werfen, nachdem der Zug schon an ihm vorbeigefahren ist.

Der Kölner Wirtschaftshistoriker Professor Klemens Skibicki von der Cologne Business School sagt:

Das ist eine komplette Aushebelung der europäischen Verträge, die ausdrücklich die Staatsfixierung durch Notenbanken verboten haben.“

Die von ihren Befürwortern als „moderne neue Geldtheorie“ etikettierte Philosophie der Staatsintervention führe in ein ordnungspolitisches Desaster. Das sei, urteilt er, „geldpolitische Planwirtschaft.“

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Auch Professor Hans-Werner Sinn, der seit Jahren das Tun und Treiben der EZB kritisch begleitet, ist alarmiert. Im Gespräch für den Morning Briefing Podcast  sagt er:

Letztlich ist das eine Finanzierung von politisch gewünschten privatwirtschaftlichen Aktivitäten mit dem Geld aus der Druckerpresse.“

Ich hoffe sehr, dass das Bundesverfassungsgericht hier nun endlich mal klare Worte aussprechen und Grenzen setzen wird.“ 

Denn der Professor bezweifelt die Legitimität der europäischen Pläne:

Die EZB darf ihr Mandat nicht selbst definieren, sondern die Grenzen des Mandats sind von anderen zu setzen, von den Parlamenten.“

Bloß weil die EZB an der Druckerpresse sitzt und das Geld besitzt, ist das keine Begründung, die gewachsenen politischen Strukturen und Entscheidungsgremien auszuhebeln. Es kommt zu einer zentralplanerisch gelenkten Marktwirtschaft.“

Fazit: Wir erleben einen Gezeitenwechsel in der Wirtschafts- und Währungspolitik. Um das Risiko der Erderwärmung zu minimieren, setzt die politische Elite die demokratische Legitimation Europas und die Geldwertstabilität des Euro aufs Spiel. Am Ende könnten alle zu den Verlierern zählen. Oder wie der frühere britische Premierminister Harold Macmillan sich ausdrückte:

Staatliche Planwirtschaft ist wie ein prachtvoller Baum mit weit ausladender Krone. In seinem Schatten wächst nichts.

Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr 


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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