Welt der Schulden | Lufthansa verliert Cash
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
29.04.2020
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Guten Morgen Heidi Walter,

das Coronavirus verändert die politischen Grundeinstellungen der Deutschen. Der Staat erfährt eine Renaissance seines Ansehens und die Staatsverschuldung verliert im Gegenzug ihren Schrecken. Das Koordinatensystem des durchschnittlichen Bürgers verschiebt sich spürbar nach links: Solidarität und Sozialstaatlichkeit rangieren deutlich vor dem Freiheitsgedanken und der Konkurrenzgesellschaft. Die neuen Lieblingsworte der Deutschen sind Abstand, Rettungsschirm und Homeoffice.

Eine repräsentative Umfrage unter 1014 Bürger, die das Forsa-Institut am 20. und 21. April exklusiv für das Morning Briefing durchgeführt hat, kommt zu folgenden Ergebnissen:

Erstens: Eine überwältigende Mehrheit der Befragten, 85 Prozent, finden die Einschränkungen der Grundrechte zur Bekämpfung der Corona-Pandemie angemessen. Nur 12 Prozent stören sich daran, dass Demonstrationsverbote gelten, die Gewerbefreiheit limitiert ist und überall im Bundesgebiet die Bewegungsfreiheit reduziert wurde.

Forsa-Chef Prof. Manfred Güllner sagt 

Diese Mischung aus Angst und Gehorsam führt dazu, dass man im Augenblick fast alles akzeptiert. Das ist vielleicht ein Gen der Deutschen.
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Zweitens: Neue Schulden für die Rettungspakete halten 87 Prozent der Befragten für richtig, nur der harte Kern der Anhänger von AfD und FDP sieht das derzeit anders. 

Güllner kommentiert: 

Hier zeigt sich eine gewisse Schizophrenie. Man erwartet eine solide Haushaltsführung. Aber man hat nichts dagegen, wenn es mal nicht so solide zugeht.
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Drittens: 75 Prozent der Befragten empfinden ihre persönliche Situation nicht oder nicht ernsthaft als belastend. Die meisten gehen nicht davon aus, dass die Wirtschaftskrise sie persönlich erwischt. Das Vertrauen in den Sozialstaat ist groß.

Viertens: Seit knapp fünf Wochen gilt das Kontaktverbot, eine behördlich angelegte Quasi-Quarantäne. 68 Prozent der Befragten glauben, dass sie selbst und ihre Mitmenschen Verständnis für die Maßnahmen haben, sowie weitgehend gelassen und zuversichtlich sind. Dass die Deutschen nun ungeduldiger werden, glauben nur 31 Prozent. 

Fünftens: Nur angesichts der Schulschließung werden die Deutschen allmählich unruhig, die Kombination von Homeoffice und Homeschooling wird als anstrengend empfunden. Eine Mehrheit der Befragten wünscht sich eine Öffnung der Schulen für alle Schüler möglichst bald nach dem 4. Mai.

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Sechstens: Das Konzept „Zuhause arbeiten“ ist ein politischer Renner. Die Mehrheit der Deutschen kann sich das auch nach der Coronakrise vorstellen. 77 Prozent wünschen sich von ihren Unternehmen verstärkte Angebote zum Homeoffice, vor allem die 18- bis 44- Jährigen lieben das heimische Sofa mehr als den Bürostuhl im Großraumbüro

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Doch Arbeitsminister Hubertus Heil, der bereits ein Recht auf Homeoffice gesetzlich verankern will, sollte sich nicht zu früh freuen. Laut Prof. Güllner handelt es sich womöglich nur um einen kurzfristigen Trend:
Ich glaube, das ist einfach so ein Reflex. Wenn ich frage: Willst Du deinen Oberbürgermeister direkt wählen, dann antworten auch immer 75 oder 80 Prozent mit „Ja“. Wenn das angeboten wird, dann geht keiner hin.“
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Fazit: Wenn die politische Unterströmung der Gesellschaft sich derart stark verändert, hat das Auswirkungen auch auf die Wahlchancen der unterschiedlichen politischen Akteure. Meine Schlussfolgerung:

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Ein intellektueller Kandidat wie der Außenpolitiker Norbert Röttgen hatte zuvor nur Außenseiterchancen, jetzt nicht mal diese. In der Krise sind Macher gefragt, keine Geostrategen. Seine Kampagne für den CDU-Vorsitz ist damit beendet, seine Karriere nicht. Gerade ein Pragmatiker im Kanzleramt braucht die intellektuelle Beimischung, so wie Kohl einst Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf. 
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Ein wirtschaftsliberaler Kandidat wie Friedrich Merz verspürt in dieser politischen Großwetterlage frostigen Gegenwind. Die Thermik arbeitet gegen ihn. In Zeiten sozialer Sehnsüchte und großer Staatsgläubigkeit wird sein Ruf nach sozialpolitischer Reform, digitaler Transformation und einer seriösen Fiskalpolitik von vielen nicht als Verheißung, sondern als Bedrohung empfunden. Womöglich wird es später heißen: Nicht Merkel, sondern Corona hat den Kandidaten Merz zur Strecke gebracht. 
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Die aktuelle Krise bietet das ideale Drehbuch für das Kandidatenduo Armin Laschet und Jens Spahn. Der Ministerpräsident und der Bundesgesundheitsminister können Führung zeigen und damit staatspolitisches Profil gewinnen. Sie sind den Niederungen des parteipolitischen Haders einstweilen entkommen. 

Gelingt die Wiedereröffnung der Volkswirtschaft bei gleichzeitig sinkenden Todesraten, haben die beiden den Passierschein für den CDU-Vorsitz in der Tasche. Weitere Beförderungen wahrscheinlich. Nur der verdeckt geführte Machtkampf mit dem bayerischen Ministerpräsidenten könnte die staatspolitische Inszenierung noch gefährden. Markus Söder ist der schwarze Schwan der CDU. Wenn er in Berlin landet, sind die Routinen der christdemokratischen Thronfolge zumindest gestört.

 

Demoskopie spiegelt Stimmung, nicht ökonomische Fakten: Die Risiken der expansiven Fiskalpolitik und der Staatsverschuldung, als da wären Inflationsgefahr, der Zwang zur Steuererhöhung und die Chance einer europäischen Währungsturbulenz, werden derzeit unterschätzt.

Angesichts der enormen staatlichen Eingriffe im Kampf gegen die Coronakrise bekommt nun auch Deutschland ein Problem bei den Staatsschulden. Die Gesamtverschuldung des Staates steigt auf 72 Prozent des Bruttoinlandsproduktes

Das reißt zwar deutlich die Maastricht-Kriterien der Europäischen Union, wirkt aber im Vergleich zu anderen Ländern – Italien sitzt auf einem Schuldenberg, der dieses Jahr 156 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung erreichen soll – vergleichsweise moderat.

Wegen der Billionen-Ausgaben zur Stützung der Wirtschaft und des Gesundheitswesens erwartet das Haushaltsbüro des US-Kongresses ein Haushaltsdefizit der Washingtoner Regierung von 3,7 Billionen Dollar (3,4 Billionen Euro).

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Sarna Röser – Unternehmerin im eigenen Familienunternehmen, Start-up-Finanziererin und Bundesvorsitzende des Wirtschaftsverbandes „Die jungen Unternehmer“ – positioniert sich wider den Mainstream. Sie fordert jetzt ein Ende des Shutdowns und weniger Staat nach der Krise:
Die Regierung tut jetzt so, als ob der Staat mit Schulden die gesamte Wirtschaft übernehmen könne. Nach dem Motto: einmal stark, immer stark. Darum müsse er jetzt so weitermachen dürfen, weil ja nur er es könne. Das Gegenteil ist richtig.“
Wenn die Wirtschaft unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln nicht bald wieder in voller Breite anfahren und Gewinne und Steuern generieren kann, wird unserem Staat unweigerlich seine Finanzkraft geraubt.
Klar ist, wer all das am Ende bezahlen muss. Das werden wir sein. Wir alle und vor allem wir als junge Generation.
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Der Nervenkrieg um milliardenschwere Staatshilfen für die Lufthansa geht weiter. Am Dienstagmorgen war der Kurs der Lufthansa-Aktie zu Handelsbeginn zunächst deutlich gestiegen. Grund war ein Bericht des Online-Wirtschaftsmagazins „Business Insider“ über eine angebliche Einigung auf Arbeitsebene. Danach soll die Bundesrepublik rund 9 Milliarden Euro in den angeschlagenen Konzern pumpen, mehr als das doppelte des aktuellen Börsenwerts

Der Kurs gab die Gewinne im Tagesverlauf aber wieder ab und rutschte zeitweise sogar ins Minus. Anstelle des direkten Staatseinstiegs prüft die Lufthansa auch eine Insolvenz in Eigenverwaltung, wie ein Unternehmenssprecher bestätigte.

Fest steht: Die Zeit drängt. Aktuell fliegt die Lufthansa wegen der Corona-Einschränkungen nur rund ein Prozent des üblichen Programms. Trotz massiver Kurzarbeit laufen viele Fixkosten weiter, sodass das Unternehmen stündlich rund eine Million Euro Cash verliert und die Barreserven von mehr als vier Milliarden Euro schneller schmelzen als die Polkappen

 
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dpa
 
Achtungserfolg für Bayer-Vorstandschef Werner Baumann: Bei der Hauptversammlung gab es am Dienstag 92,6 Prozent Ja-Stimmen für die Entlastung des Vorstandes. Im vergangenen Jahr war ihm die Entlastung der Versammlung verweigert worden. Die Aktionäre würdigen damit, dass Bayer 2019 ein erfolgreiches Geschäftsjahr absolviert hat und auch zu Jahresbeginn 2020 weiter bei Umsatz und Gewinn zulegt. Die Klagen der Monsanto-Kunden sind noch immer anhängig, aber je länger ein entscheidendes Urteil der US-Gerichte auf sich warten lässt, desto gefügiger werden die Anwälte und ihre Kunden. Die zunächst avisierte Schadenssumme von 10 Milliarden Euro könnte sich im Zuge dieses juristischen Zermürbungskrieges reduzieren.
 
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Erstens: Die Deutsche Bank veröffentlicht am Morgen Details zu ihrem überraschend guten Start ins Jahr 2020. Bereits am Sonntagabend hatte Deutschlands größtes Geldhaus mitgeteilt, dass die ersten drei Monate sowohl vor als auch nach Steuern mit schwarzen Zahlen abgeschlossen werden konnten. Das gilt in diesen Zeiten als Sensation.

ZweitensFacebook wird heute erste Hinweise darauf geben, wie die aktuelle Ausnahmesituation sich auf das Geschäft des weltgrößten Online-Netzwerks auswirkt. Bereits bekannt ist, dass in den vergangenen Wochen die Nutzung der Kommunikationsangebote des Konzerns wie etwa WhatsApp deutlich zugenommen hat. Zugleich achten aber Unternehmen auf ihr Geld – das dürfte sich negativ auf die Werbeeinnahmen von Facebook auswirken.

Drittens: Unter dem Eindruck des Nachfrageeinbruchs und nach dem Zurückziehen seiner Jahresprognose stellt Volkswagen seine endgültigen Zahlen zum ersten Quartal vor. Der weltgrößte Autokonzern hatte kürzlich bereits vorläufige Daten veröffentlicht. Demnach sank der Umsatz während der ersten drei Monate 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fünf Milliarden auf 55 Milliarden Euro. Frische Quartalszahlen legt auch Daimler vor. 

Viertens: Der US-Luftfahrtkonzern Boeing steckt aufgrund des Problemfliegers 737 Max bereits tief in der Krise. Durch die Pandemie, die den internationalen Luftverkehr nahezu zum Erliegen gebracht hat und die erhoffte 737-Max-Wiederzulassung weiter verzögern könnte, gerät das Unternehmen jetzt noch stärker in Not. Heute gibt es Zahlen, die zeigen werden, wie groß diese Not ist.

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dpa
 
Fünftens: Die scheinbar unendliche Geschichte über den Bau des neuen Hauptstadtflughafens BER steht nun doch vor dem Abschluss: Der Flughafen Berlin-Brandenburg hat endlich die Nutzungsfreigabe erhalten, womit eine Eröffnung ein großes Stück näher rückt. Sie ist aktuell für den 31. Oktober geplant – mit dann neun Jahren Verspätung. Jedoch wird der Flughafen offenbar sofort zum Sanierungsfall. Der finanzielle Mehrbedarf bis 2023 könnte bei 1,8 Milliarden Euro liegen. Die Kosten des Projekts haben sich seit dem ersten Spatenstich 2006 mehr als verdreifacht.

Spätestens jetzt wird der BER ein Fall für das ARD-Fernsehspiel. Für die Rollenbesetzung bietet sich folgendes Tableau an: Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit in all seiner großspurigen Nachlässigkeit parodiert sich selbst ...,
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Hape Kerkeling übernimmt die Rolle des Wichtigtuers Hartmut Mehdorn als Flughafenchef ...,
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… die Rolle des Brandschutzmeisters, der den Brandschutz vergisst, bekommt Didi Hallervorden. Nicht Honig, sondern Stroh im Kopf.

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dpa
 
Christoph Maria Herbst darf mit seiner Paraderolle als Ekel-Chef Stromberg auch zum Einsatz kommen: Er spielt am besten den Polier auf der politischen Großbaustelle. Regie führt: die Wirklichkeit.

Ich wünsche Ihnen einen humorvollen Start in diesen Tag. Herzlichst grüßt Sie Ihr

Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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In der neuen Folge von „The Americans“, dem Podcast von Chelsea Spieker, kommt dieses Mal Kimberly Marteau Emerson zu Wort. Die Anwältin und Menschenrechtsaktivistin spricht über das transatlantische Verhältnis.
 
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