Sozialetat steuert auf eine Billion Euro zu | SPD-General im Interview
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
28.11.2019
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Guten Morgen Peter Bruder,
Ursula von der Leyen glaubt, ihre große Zeit habe begonnen, nachdem das EU-Parlament gestern die Kommission bestätigte. Erleichtert rief die Deutsche den Abgeordneten gestern zu: „Let‘s get to work!“ 
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dpa
Ihr Problem: Emmanuel Macron ist schon da. Sein Arbeitsplatz ist zwar der Élysée-Palast, aber den baut Frankreichs Präsident gerade zur Kommandozentrale einer alternativen Europapolitik aus, wie eine exklusive „Bloomberg"-Story enthüllt. Macrons Plan: Die anderen machen die Arbeit, er die Musik. Brüssel bleibt Hauptstadt der Bürokraten, er regiert ein Reich der Ideen. 
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Ein kleines Team von Getreuen, so berichtet „Bloomberg“, habe „in einem minimalistischen Büro in der Pariser Innenstadt“ Quartier bezogen, wo man im ständigen Austausch mit dem Élysée-Palast, via Telegramm und WhatsApp, seine Europastrategie konzipiere. „Macron glaubt, wir erleben die Anfänge einer bipolaren Welt, und er möchte, dass Europa ein Spieler ist und kein Objekt in diesem Spiel“, zitiert „Bloomberg" einen Macron-Mitarbeiter.
 
Merkels Kultur des Tastens und des Sich-Rückversicherns jedenfalls lehnt Macron ab. In seinen bisherigen europapolitischen Reden wird sein schonungsloses Denken deutlich.
Das Europa, das wir kennen, ist zu langsam, zu schwach, zu ineffektiv.“
Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann werden wir definitiv die Kontrolle verlieren. Dann wird es zur Auslöschung kommen. Dann wird Europa verschwinden.“
Macrons Programm, so lässt sich die „Bloomberg“-Story zusammenfassen, unterscheidet sich vor allem in drei Punkten vom Weiter-So der Deutschen: 
 
► Er glaubt, unter dem Druck einer weltweiten Wanderbewegung die Freizügigkeit innerhalb der EU, also der Verträge von Schengen, wieder einschränken zu müssen. 
 
► Auf der Suche nach Verbündeten möchte Macron ein neues Kapitel im Verhältnis der EU zu Russland öffnen. Putin ist für ihn nicht Gegner, sondern Partner.
 
► Er glaubt, dass die Leisetreterei der Deutschen den Fortschritt in Europa nicht befördert, sondern behindert. Er verfolge daher eine publizistische „Schocktherapie“, die mit der Analyse, die Nato sei „hirntot“, erst begonnen habe.
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Mit Martina Meister, die seit 16 Jahren in Paris lebt und dort als Korrespondentin für die „Welt“ arbeitet, habe ich für den Morning Briefing Podcast  über die Macron-Strategie gesprochen. Hier das Interview in Kurzfassung: 
Über die „Schocktherapie“
Macron kommt nicht weiter, wenn er immer nur auf Angela Merkel wartet.“
Zur Frage, ob sich Macron als der heimliche Herrscher Europas sieht: 
Wieso heimlich? Wen gibt es denn sonst? Frau Merkel ist es nicht. Die Briten sind mit sich selbst beschäftigt, die Italiener kommen gerade aus einer großen Krise und sind noch nicht wieder da. Es gibt einfach keinen, der diese Arbeit übernimmt.“
Über seine Nähe zu Russland:
Macrons außenpolitischer Berater sagt: Entweder werden die Russen gemeinsame Sache mit den Chinesen machen oder uns gelingt es, wieder eine Gesprächsbasis zu schaffen und die Russen auf unsere Seite zu ziehen.“
Über seine Einstellung zur Freizügigkeit in Europa:
Schengen endet schon längst an der französischen Grenze.“
Fazit: Das Europa-Theater spielt künftig auf zwei Bühnen. Ursula von der Leyen inszeniert in Brüssel; Macron dramatisiert in Paris. In Deutschland ist derweil der Vorhang gefallen. Der Berliner Regie gingen die Ideen aus.
 
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Am Sonntag wird feststehen, wer die SPD führen soll. Mein Kollege Michael Bröcker spricht im Morning Briefing Podcast  mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, der den langwierigen Prozess der Basisabstimmung organisiert hat. Er sagt:  
Ich bin seit zwei Jahren Generalsekretär und habe mit sechs verschiedenen Vorsitzenden zusammengearbeitet. Wenn wir an dem Abend, an dem Andrea Nahles zurückgetreten ist, einfach einen neuen Parteivorsitzenden bestimmt hätten, hätte das nicht funktioniert.“
Der Generalsekretär, offiziell zur Neutralität verpflichtet, macht deutlich, dass er an der Großen Koalition festhält und nicht – wie von den Jusos gefordert – in die Opposition strebt: 
Ich bin niedersächsischer Sozialdemokrat, ich habe unter Schröder gelernt. Ich bin der Meinung, man muss Politik gestalten und auch regieren wollen.“
Über sein eigenes Schicksal sagt Klingbeil:
Ich habe schon Bock weiterzumachen.“
 
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Am Freitag dieser Woche soll der Bundestag den 15. Haushalt einer Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel verabschieden: Im Haushaltsjahr 2020 wird der Etat mit 362 Milliarden Euro rund 100 Milliarden Euro größer ausfallen als in ihrem ersten Haushaltsjahr. 
 
Der wichtigste Teil der Mehrausgaben fällt in das Ressort Arbeit und Soziales, das mit 150,2 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert überwiesen bekommt – der Etat wird mehr als 41 Prozent des Bundeshaushaltes ausmachen. 
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Damit spiegelt der Bundesetat nur den Trend, der sich auch in den Kommunen und Ländern zeigt. 2018 bewegten sich die deutschen Sozialausgaben bei rund einer Billion Euro. Seit 1960 sind die Ausgaben damit um mehr als 3.400 Prozent gestiegen, seit dem Jahr der Wiedervereinigung immer noch um 216 Prozent. Deutschland gibt fürs Soziale pro Kopf mehr aus als die verbliebenen sozialistischen Länder - Nordkorea, Kuba und China - zusammen.
 
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Der neue BMW-Chef Oliver Zipse setzt um, was unter Vorgänger Harald Krüger beschlossen wurde: Bis 2022 will BMW rund zwölf Milliarden Euro einsparen, auch auf Kosten der Mitarbeiter. Verzichten müssen sie ab 2020 auf bis zu einem Fünftel ihrer Erfolgsprämie.
 
Mit seiner Ankündigung konnte CEO Zipse, der mit Blick auf die Mitarbeiter von einer „solidarischen Lösung” spricht, zwar die Anleger erheitern (die Aktie schloss mit 1,2 Prozent im Plus), nicht aber die Ratingagentur Standard & Poor’s. Die bezweifelt, dass die Vorstandsbeschlüsse ausreichen, um die Umsatzrendite und den freien Cashflow in der Autosparte dauerhaft zu erhöhen. Der Ausblick wurde gesenkt: von „stabil“ auf „negativ“. Das hätte Harald Krüger auch noch hinbekommen.
 
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Die Fusion der amerikanischen Telekom-Tochter T-Mobile US mit dem Konkurrenten Sprint ist noch nicht in trockenen Tüchern, da plant Timotheus Höttges bereits den nächsten Deal. Wie das „Handelsblatt“ in seiner heutigen Ausgabe berichtet, lotet der Telekom-CEO einen Zusammenschluss mit dem französischen Anbieter Orange aus. 
 
Doch der Weg zum Erfolg ist weit und führt über den Élysée Palast. Zwar ist die Telekom mit 72 Milliarden Euro fast doppelt so viel wert wie Orange – das Selbstbewusstsein der Franzosen aber ist größer als ihre Marktkapitalisierung. Und: Die Staatsbeteiligung wird aktiv gemanagt. Ohne Macrons Billigung kein Deal.
 
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Jürgen Klinsmann ist zurück in Deutschland. Mit sofortiger Wirkung wird der ehemalige Nationalspieler und Bundestrainer die Leitung des Hauptstadtclubs Hertha BSC übernehmen. Seine wenig originelle Mission: „Das Allerwichtigste ist, so schnell wie möglich nach oben zu klettern.“ 
 
Er hat keine andere Wahl, will er den Großinvestor Lars Windhorst nicht enttäuschen. Herthas Bundesliga-Karriere gleicht einer Achterbahnfahrt, wobei der Waggon immer wieder ins Gleisbett der zweiten Liga rutschte. Aktuell steht der Verein in der Tabelle mit nur elf Punkten auf Platz 15 und damit erneut knapp vor der Abrisskante. 
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Stürzt der Club in die Bedeutungslosigkeit ab, hat Windhorst, der mit 224 Millionen Euro 49,9 Prozent der Anteile der Hertha BSC KGaA übernahm, sein Geld in den Sand gesetzt. Darin allerdings haben er und der Verein eine gewisse Übung, was für Klinsmann nicht Omen, sondern Ansporn sein sollte. Sein Markenartikel heißt „Sommermärchen“. Jetzt muss er nur die Berliner Version davon liefern.
 
Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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