Lufthansa-Rebell gibt auf | Bafin-Chef unter Druck
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
25.06.2020
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Guten Morgen Nicolas Bissantz,
auf diesen Befreiungsschlag hat man bei Bayer lange warten müssen: Der Konzern nimmt bis zu 9,8 Milliarden Euro in die Hand, um den Großteil seiner rechtlichen Probleme in den USA zu lösen. Der Agrarchemie- und Pharmakonzern hat sich mit den US-Klägern im großen Stil auf Vergleiche geeinigt.

Es geht vor allem um Krebsrisiken des Unkrautvernichters Roundup mit dem Wirkstoff Glyphosat. Durch den Kompromiss sollen laut Bayer etwa 75 Prozent der aktuellen Roundup-Verfahren abgeschlossen werden – mit insgesamt etwa 125.000 eingereichten und zum Teil auch noch nicht eingereichten Klagen.
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Die Monsanto-Übernahme hatte seinerzeit rund 63 Milliarden Dollar gekostet. Nun kommen bis zu 10,9 Milliarden Dollar dazu. Damit kann die Bayer AG sich wieder der Zukunft zuwenden.

Vorstandschef Werner Baumann – dem die Aktionäre im April 2019 noch die Entlastung verweigert hatten – wirkte heute Nacht erleichtert. Für den Morning Briefing Podcast  habe ich um kurz vor Mitternacht mit ihm gesprochen:
Wir haben immer gesagt, dass wir uns nicht dem Mandat der Uhr unterwerfen. Allein das Ergebnis zählt. Jetzt ist es soweit.“
Den Deal mit den US-Klägern skizziert er mit folgenden Worten: 
Die erste Voraussetzung ist immer gewesen, dass es sich angesichts der erheblichen Haftungsrisiken um einen vernünftigen finanziellen Rahmen handeln muss. Das zweite Thema war, dass wir den Haftungskomplex in Summe mit all seinen Besonderheiten einer kompletten und strukturierten Lösung zuführen können. Beides haben wir mit der Verhandlung erreicht.

Bei 125.000 Fällen, die die Anwälte entweder in ihren Schubladen oder bei Gericht eingereicht haben, besitzen wir für 75 Prozent bereits unterschriebene Verträge.“

Die übrigen 25 Prozent sind im Wesentlichen kleinere Kanzleien. Wir unterhalten uns hier wirklich über Hunderte von Kanzleien, mit denen wir verhandeln und Vereinbarungen treffen müssen. Darüber hinaus gibt es sogenannte Akkumulatoren. Das sind Kläger und Anwälte, die im Wesentlichen damit beschäftigt sind, neue Fälle einzuwerben.“
Die Anwälte der Bayer AG erzielten auch für die Klagen der kommenden Jahre bereits eine Einigung. Ein milliardenschwerer Fonds wird gegründet, der diese Klagen wissenschaftlich bewerten und finanziell bedienen wird:
Wir haben gleichzeitig 95 Prozent aller Fälle, die in den nächsten anderthalb Jahren mehr oder weniger zur Verhandlung kommen würden, ebenfalls in diesem Vergleich mit eingebunden.“
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Den Monsanto-Kauf schätzt Baumann trotz des nun zu zahlenden Aufpreises als strategisch richtige Maßnahme ein:
Auch am heutigen Abend gehen 800 Millionen Menschen hungrig zu Bett, und wir werden in den nächsten zwei Dekaden zehn Milliarden Menschen zu ernähren haben. Das alles muss passieren bei gleichzeitiger Reduzierung des Umweltabdrucks. Und was wir dazu brauchen, sind innovative Lösungen, die entwickelt werden müssen.
Ich glaube, wir können sagen, dass wir zur Beantwortung dieser Fragen heute ein Unternehmen systemischer Relevanz sind. Das ist das ganz Entscheidende, und das spiegelt sich letztlich auch in unserer Vision ,Health for all. Hunger for none‘ wieder. Das ist das, wofür unsere 100.000 Leute arbeiten.“
Fazit: Werner Baumann ist einen langen Weg gegangen an dessen Ende kein Triumph, aber ein Erfolg steht. Er hat die größte Firmenübernahme der deutschen Wirtschaftsgeschichte gegen eine Armada amerikanischer Anwälte und trotz des Stahlgewitters deutscher Medien durchgesetzt. Allerdings: Allzu viele Erfolge dieser Art kann sich die Bayer AG nicht leisten.
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Kurz vor der Hauptversammlung der Lufthansa am heutigen Donnerstag kehrt Entspannung ein. Großaktionär Heinz Hermann Thiele will den Einstieg des Staates mit einem 20-Prozent-Anteilspaket nicht länger blockieren.
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Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatten zuletzt am Mittwochmorgen in einem gemeinsamen Telefonat mit Thiele dessen Forderungen, die er nicht als Forderung, sondern als Angebot gewertet wissen will, abgelehnt.
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Sein Versuch, bei anderen Familienunternehmen und bei internationalen Großbanken Milliarden für eine private Rettung der Lufthansa zu organisieren, ist vorerst gescheitert. Gegen den Staat mochte keiner setzen. Die Flugindustrie, das kommt verschärfend hinzu, gilt derzeit nicht gerade als Zukunftsmodell. Kleinlaut musste Thiele gegenüber der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ jetzt einräumen :
Ich werde für die Beschlussvorlage stimmen.“
Damit haben sich Lufthansa-Vorstand und Finanzminister lupenrein und ohne jedes Zugeständnis durchgesetzt. Seine Gegner sagen nun: Heinz Hermann Thiele ist in München als Tiger gestartet – und in Frankfurt als Bettvorleger gelandet.
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Seine Freunde urteilen deutlich milder: Der Rückzug beweise doch, Thiele sei nicht der Hasardeur, den die Medien aus ihm gemacht haben.

Die Wahrheit liegt dazwischen. Letztlich waren es fünf Argumente, die den Tiger Thiele zur Einsicht brachten: 

Erstens. Gegen den Staat kann in der politisch vermachteten Luftfahrtindustrie kein Spiel gewonnen werden.

Zweitens. SPD-Finanzminister Scholz, der eine Kanzlerkandidatur anstrebt, ist ein denkbar ungünstiger Gesprächspartner. Ein Hintergrund-Deal war mit ihm nicht zu erreichen

Drittens. Die Risikobereitschaft der internationalen Großbanken und der deutschen Family Offices ist angesichts des riesigen Finanzbedarfs der Lufthansa und der Unwägbarkeiten des Geschäftsmodells nicht sehr ausgeprägt

Viertens. Die von Thiele dirigierten 15 Prozent hätten zusammen mit den ihm verbundenen 8 Prozent der Stimmanteile zwar ausgereicht, die Hauptversammlung zu dominieren. Aber nach der Hauptversammlung hätten diese Anteile nicht genügt, um das Spiel zu gewinnen.

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Fünftens. Last but not least: Spätestens die Arbeitnehmer der Lufthansa, vorneweg die rebellischen Piloten und Flugbegleiter, hätten Thiele das Leben zur Hölle gemacht. Auch deshalb war der geordnete Rückzug geboten.
 
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Wortreich wird in Deutschland das Hochamt auf die Aktienkultur gefeiert. Nur wenn sich im wahren Wirtschaftsleben eben jene Aktienkultur als undurchsichtig, kriminell und toxisch für den privaten Vermögensaufbau erweist, werden die Lippen schmal.
Hier scheinen Wirtschaftsprüfer wie Aufsichtsbehörden nicht effektiv gewesen zu sein.“
Sagt Finanzminister Olaf Scholz.
Wir hätten eine solche Situation überall erwartet – nur nicht in Deutschland.“
Meint Wirtschaftsminister Peter Altmaier.

Die Geschichte von Aufstieg und Fall des Dax-Konzerns Wirecard ist der größte Anlegerskandal innerhalb des deutschen Leitindex. In der Königsklasse der Deutschland AG hat es Derartiges bisher nicht gegeben.
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► Innerhalb von nur einem Tag wurden bei Wirecard rund sieben Milliarden Euro an Börsenwert vernichtet. Im August 2018 war Wirecard noch rund 21,3 Milliarden Euro wert, gestern waren es gerade einmal 2,1 Milliarden Euroein Verlust von rund 90 Prozent. Es ist der Verlust der Anleger, aber das Scheitern von Fondsmanagern und Analysten. Jahrelang hatten sie den Kurs mit immer kühneren Zielmarken nach oben getrieben, kritische Noten gab es kaum:
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► Mit dem Unternehmen steht auch die abgetretene Führungsspitze vor den Scherben ihres Lebenswerks. Der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun, der nach der Zahlung einer Kaution von fünf Millionen Euro auf freien Fuß gesetzt wurde, musste einen großen Teil seiner Aktien verkaufen, mit geschätzten Verlusten von rund einer halben Milliarde Euro.

Per Haftbefehl gesucht wird nun auch Brauns engster Verbündeter, Ex-COO Jan Marsalek. Er gilt als Architekt des intransparenten Wirecard-Firmengeflechts in Asien und soll sich derzeit auf den Philippinen aufhalten.

► Der Finanzausschuss des Bundestages will die Rolle der Finanzaufsicht noch vor der Sommerpause durchleuchten. „Wenn schon der Bafin-Präsident von einem Skandal spricht, dann muss dies auch Konsequenzen für seine Behörde nach sich ziehen“, sagte die Ausschussvorsitzende Katja Hessel von der FDP.

► Der Fraktionsvize der Linkspartei, Fabio De Masi, hielt fest: „Auch personelle Konsequenzen an der Spitze der Bafin sind zu prüfen.“
 
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Die Münchner Rechtsanwältin und Anlegerschützerin Daniela Bergdolt ist Vizepräsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Mit ihr spreche ich im Morning Briefing Podcast , auch über das Versagen der Aufsichtsbehörden:
Die Bafin hat Wirecard nicht als Bank geprüft, nur einen kleinen Teil davon. Man hat Wirecard eher als einen Sachdienstleister angesehen. Das entschuldigt die Bafin aber nicht. Denn dass Wirecard inzwischen eine Bank ist, dafür braucht man sich nur das Geschäftsmodell anschauen, das sie entwickelt haben.“
Man hat sich zu lange blenden lassen von den guten Ergebnissen und den wahnsinnigen Umsatzzuwächsen. Da ist sehr viel übersehen worden.“
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Sie hält Markus Braun, den sie persönlich kennt, für Opfer und Täter zugleich:
Ich glaube, er hat am Ende alle Augen zugedrückt und gehofft, irgendwie komme ich aus dem Schlamassel raus. Das ist eine Art der Täterschaft, die nicht aktiv handelt, aber die alle Augen verschließt.“
 
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Geht es nach dem Internationalen Währungsfonds (IWF), sind die wirtschaftlichen Verwerfungen durch die Corona-Pandemie noch lange nicht ausgestanden. Nie in seiner 75-jährigen Geschichte hat der Fonds einen derart düsteren Konjunkturausblick veröffentlicht wie jetzt:

► Für das weltweite Bruttoinlandsprodukt sagt der IWF einen Einbruch von 4,9 Prozent voraus. Das sind 1,9 Prozentpunkte mehr als noch im April prognostiziert. Alle Prognosen seien weiterhin mit extrem hoher Unsicherheit behaftet.

► Besonders schlimm trifft es dieses Jahr Italien und Spanien mit einem Minus von jeweils 12,8 Prozent und Frankreich mit einem Rückgang von 12,5 Prozent. Derartige Einbrüche gibt es in der Projektion des Fonds sonst nirgendwo.

► Auch die Aussichten für Deutschland mussten nach unten korrigiert werden. Gegenüber ihrer ersten Prognose im April haben die Ökonomen mit einem Minus von 7,8 Prozent weitere 0,8 Prozentpunkte Wachstum gestrichen.
 
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► Bundesinnenminister Horst Seehofer irritiert Freund und Feind mit seiner angekündigten Anzeige gegen eine „taz“-Journalistin. Nach einer Merkel-Intervention will Seehofer auf die Anzeige verzichten.

Arbeitgeber nutzen die aufladbare Geldkarte gern, um Mitarbeiter mit einem steuerfreien Zuschlag zu motivieren. Das Finanzministerium schränkt dies nun ein.

► Wie und wohin dürfen Menschen aus Corona-Hotspots reisen? Die Ministerpräsidenten wollen eine einheitliche Regelung, um Ferienchaos zu vermeiden.

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Das Coronavirus hat in den vergangenen Monaten viele Dinge unmöglich gemacht – auch Abitursfeierlichkeiten gehörten dazu. Mit ein bisschen Kreativität und viel Planungsgeschick sind die Feiern nun wieder möglich. Das zeigt folgende Luftaufnahme aus Berlin:
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Auf dem Sportplatz des Rheingau-Gymnasiums im Ortsteil Friedenau versammelten sich bei bestem Wetter die diesjährigen Abiturienten mit ihren Angehörigen für die Vergabe der Zeugnisse – und hielten die geltenden Corona-Abstandsregeln vorbildlich ein. Der Event war nicht sonderlich gesellig, aber sehr gesund.

Ich wünsche Ihnen einen beschwingten Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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