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Gabor Steingart - Das Morning Briefing
10.09.2019
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Guten Morgen k s,

die Kultusminister der 16 deutschen Bundesländer können offenbar nicht rechnen. Ihre Prognose zum Lehrerbedarf der kommenden Jahre scheint – wenn man einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung glauben darf – der Lotterie entnommen: Bis zum Jahr 2025 rechnete die deutsche Kultusbürokratie mit rund 3,06 Millionen Grundschülern, für die zusätzliche 15.310 Lehrern benötigt würden. Viel zu wenig, sagt die Bertelsmann-Studie: 

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►Die Wissenschaftler der Stiftung rechnen hingegen mit einem zusätzlichen Lehrerbedarf an Grundschulen von 26.000 Lehrkräften, ohne dass sie die Annahmen von Klassengrößen, Geburtenrate und dem Tempo der Zuwanderung verändert hätten. 

► Auch für den Zeitraum von 2026 bis 2031 liegt womöglich eine Fehlkalkulation vor: Die Kultusminister gingen von einem Überschuss aus und rechneten mit 6750 Lehrern zu viel. Laut der Bertelsmann-Studie werden in diesem Zeitraum jedoch weitere 3890 Grundschullehrer fehlen.

Der Vorwurf an die Planer der Kultusministerkonferenz ist der von erhöhter Schläfrigkeit. Auch die Flüchtlingskrise lassen die Autoren der Studie als Grund für die Fehlprognosen nicht gelten: 

Die Kinder, die im Jahr 2025 eingeschult werden, sind bereits alle auf der Welt. Bis auf den Faktor Wanderungsbewegungen, der für die Altersgruppe der Grundschulkinder von geringer Bedeutung ist, kann die Entwicklung der Schulbevölkerung also sehr verlässlich vorhergesagt werden.“

Diese Studie zeigt offiziell zwar nur kommende Lehrerengpässe, enthüllt aber zugleich einen eklatanten Zukunftsmangel in Deutschland. Denn: Eine Kultusbürokratie, die mit Adam Riese auf Kriegsfuß steht, trifft auf die systematische Entwertung des Lehrberufs, die sich ökonomisch im Verfall der Schulgebäude und gesellschaftlich in einer Geringschätzung dieser vielleicht wichtigsten Berufsgruppe zeigt. 

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Laut neuester Berechnung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die dazu Deutschlands Stadtkämmerer befragt hat, findet sich der größte Anteil des kommunalen Investitionsrückstands mit 31 Prozent in unseren Schulen (siehe Grafik). Das entspricht 42,8 Milliarden Euro – und damit fast dem Etat der Bundeswehr.

Das Ergebnis dieser baulichen und menschlichen Fehlallokation staatlicher Mittel ist die schleichende Entwertung der deutschen Kreativitätspotenziale, die in einer Art Preview die Wohlstandsverluste von Morgen zeigt. Ein Land, in dem die Rohstoffe der Volkswirtschaft nicht in der Erde schlummern, sondern auf den Rücksitzen unserer Autos, verliert an Dynamik.

Die Funktionsfähigkeit unserer Bildungs-Anreicherungsanlagen, die wir gemeinhin Schulen oder Universitäten nennen, entscheidet darüber, ob ein Kind später zum Kostgänger des Sozialstaates oder zur Produktivkraft der Volkswirtschaft wird.

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dpa
 

Umso unverständlicher ist, dass die Flüchtlingskrise nicht unverzüglich zu einer Aufstockung von Lehrpersonal, Computer-Ausstattung und Gebäudeinvestionen geführt hat. Das Reden über Integration integriert noch nicht. 

Wenn die Flüchtlinge und ihre Kinder nicht vom Staat in den produktiven Kern der Volkswirtschaft geleitet werden, führen sie notgedrungen ein Leben in den Kornspeichern des Wohlstandsstaates. Oder sie wandern in das Paralleluniversum von Clan-Kriminalität, Drogen- und Menschenhandel ab, was wiederum zu sozialen und politischen Verwerfungen führt. Es klingt wie eine Zuspitzung und ist womöglich nichts als die Wahrheit: Scheitert die Schulpolitik, scheitert die Demokratie.

 
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Kurz vor Ablauf seiner Amtszeit als Präsident der Europäischen Zentralbank will es Mario Draghi noch einmal wissen. Am Donnerstag dürfte er im EZB-Rat eine weitere, massive Lockerung der Geldpolitik durchsetzen. Draghi plant Folgendes: 

►Der bereits negative Einlagenzins, den Banken zahlen müssen, wenn sie kurzfristig Geld bei der EZB lagern wollen, soll demnach weiter sinken. Experten gehen von einer Senkung um zehn Basispunkte auf 0,5 Prozent aus.
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► Auch die Fortsetzung von „Quantitative Easing“-Maßnahmen, beispielsweise die Wiederaufnahme des umstrittenen Anleihenkaufprogramms, steht offenbar auf dem Plan. Schon jetzt beläuft sich das Volumen der von der EZB finanzierten Staats- und Unternehmensschulden auf mehr als 2,6 Billionen Euro (siehe Grafik).

► Die EZB hält damit ein Drittel der Staatsschulden im Euro-Raum. Die durch die Notenbank befeuerte Nachfrage nach Staatsanleihen drückt die Renditen, die Schuldner sind fein raus, die Anleger haben keine oder kaum noch Erträge. Das Volumen der negativen Staatsanleihen beträgt derzeit weltweit 15,6 Billionen US-Dollar – fast jede dritte Staatsanleihe wirft negative Renditen ab (28 Prozent).

Die „Süddeutsche Zeitung“ geht hart mit den nun geplanten Entscheidungen der Draghi-Administration ins Gericht: 

Dieser Aktionismus verschleiert die zunehmende Machtlosigkeit der Währungshüter.“

Fazit: Womöglich wird der Konkurs des Euro-Geldsystems mit all diesen Maßnahmen nicht verhindert, sondern nur verschleppt. Und Draghi dürfte dann nicht als der Mann dastehen, der der Eurozone Leben schenkte, sondern als derjenige, der ihr Sterben verlängert hat.

 
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In dieser Woche präsentieren die bei der Elektrifizierung in Rückstand geratenen deutschen Autobauer auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt ihre Fortschritte. Auch wenn sich bei den drei großen Herstellern derzeit schwere SUVs gut verkaufen, setzt die deutsche Autoindustrie in diesem Jahr auf Elektromobilität. Immerhin: BMW lag als bester deutscher Hersteller mit 129.000 verkauften E-Autos 2018 an vierter Stelle – Spitzenreiter war Tesla.

Mit dem Taycan präsentiert auch Porsche sein erstes rein elektrisch betriebenes Auto. Und bei Mercedes-Benz wird ebenfalls, neben den Neuauflagen der bisherigen Plug-in-Hybride, mit dem EQV ein erstes echtes E-Auto vorgestellt. Die Reichweite soll bei mehr als 400 Kilometern liegen. VW präsentiert mit der Serienversion des ID.3 neben dem E-Golf ein neues, rein elektrisches Kompaktmodell mit bis zu 550 Kilometer Reichweite. Und auch Opel steigt mit dem Corsa E für rund 30.000 Euro Startpreis ins E-Zeitalter ein.

Die Branche schaut mit ihren Modellen nicht nur nach Europa, wo besonders das Premiumsegment Profite bringt, sondern auch in Richtung China. Die chinesische Konkurrenz plant offenbar, in den nächsten 24 Monaten gleich 25 rein elektrisch betriebene SUV-Modelle auf den heimischen Markt zu bringen. Das Land will erkennbar selbst die Technologie der Zukunft beherrschen, produzieren und vertreiben. Die verlängerte Werkbank wurde abgebaut.

 

Jetzt widerspricht auch die Statistik der Rezessionssehnsucht vieler Medien. Im Juli sind die Exporte der deutschen Wirtschaft nach einem Rückgang im Juni wieder um 0,7 Prozent auf 115,2 Milliarden Euro gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr lagen die Ausfuhren sogar um 3,8 Prozent höher. Das zeugt von der Vitalität der deutschen Exportmaschinerie.

Trotz der Handelsstreitigkeiten nahm vor allem das Geschäft mit Nicht-EU-Staaten (darunter den USA und China) um knapp zehn Prozent zu. Das Trommelfeuer der negativen Nachrichten hinterlässt dennoch Wirkung: Es sorgt vor allem in der Bevölkerung für Anflüge von Depression. Laut einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Nielsen glauben 41 Prozent der Deutschen, das Land befinde sich jetzt schon in einer Rezession.

Dabei ist der Gegenbeweis jederzeit möglich. Wer ein Telefon besitzt, sollte versuchen, noch für diese Woche einen Handwerker zu bestellen. Und wer eine zweite Straßenspur in den Städten findet, die nicht von einem Paket-Service in Beschlag genommen wird, hat gewonnen. Die Rezession wird kommen, aber noch befindet sie sich außer Landes.

 
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© Heike Steinweg / Suhrkamp Verlag
 

Literatur und Journalismus gehen oft getrennte Wege. Der Weg vieler Literaten führt in das Innere ihrer Seelen – oder zumindest in die Psyche ihrer Protagonisten. Das Leben der Journalisten dagegen ist ein Öffentliches. Im Zentrum ihrer Arbeit steht die res publica, nicht die eigene Befindlichkeit. Es geht um Krieg und Frieden, um parteipolitische Intrigen und gesellschaftliche Visionen, aber eben nur sehr selten um Liebe, Zärtlichkeit und Trauer.

Nora Bossong ist anders. 

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© Heike Steinweg / Suhrkamp Verlag

Die 37-Jährige ist eine Literatin mit politischer Ambition, die Erzählbücher, Gedichtbände, einen Selbstversuch im Rotlichtmilieu und nun einen großen Roman über die Vereinten Nationen vorgelegt hat. „Schutzzone“ heißt das Werk, das jetzt für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde.  

Es geht um eine Reise ins Innere der Weltkonflikte, da wo es brodelt, knallt und nach Tod riecht. Für den Morning Briefing Podcast  habe ich mit dieser politisch und literarisch engagierten Frau über die ewigen Kriege, gekaufte Liebe und den Zwang zur Zuversicht gesprochen. Sie findet: 

Zuversichtlich macht mich die sichere Erkenntnis, dass Pessimismus nicht weiterhilft. Lösungen findet nur, wer Mut hat.“

Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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