Wer bezahlt den „Green Deal“? | Trigema-Chef im Interview
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
12.12.2019
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Guten Morgen Annette Heinisch,

die Verrücktheit der westlichen Gesellschaft versteht man am besten, wenn man die Welt mit den Augen von Dr. Drew Westen betrachtet. Der Mann ist Gehirnforscher und war Wahlkampfberater des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama.

Jeder Mensch besitze ein emotionales Gehirn, sagt Drew Westen. In diesem Gehirnteil werden instinktive Entscheidungen in Millisekunden gefällt: Fliehen oder bleiben? Rechts oder links?

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Erst später in der Evolutionsgeschichte der Menschheit habe sich das rationale Gehirn herausgebildet: Wissen statt Fühlen. Dieser durch Erziehung und Bildung geprägte Teil des Gehirns komme oft zu gänzlich anderen Schlussfolgerungen als sein emotionaler Counterpart. 

Womit wir bei Greta Thunberg wären, die vom „Time Magazine“ jetzt als Person des Jahres ausgezeichnet wurde. Sie, die mit der Wissenschaft sich verbündet hat, ist die Königin unseres rationalen Gehirns. Nur wenn die Menschheit sich mäßigt, wird sie die Überhitzung der Atmosphäre und damit den vorsätzlichen Schadensfall für die eigene Spezies verhindern können.

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Wenn da nur nicht das emotionale Gehirn wäre, das unserer Rationalität böse Streiche spielt. Wir konsumieren anders als wir denken. Wenn das „Time Magazine“ ehrlich zu uns wäre, gehörte nicht die Klima-Göttin („The Power of Youth“), sondern der real gekaufte Klimakiller auf das Titelbild: der SUV. The Power of Truth. 

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Das Jahr 2019, das lässt sich aus den Verkaufsstatistiken mühelos herauslesen, war ein Jahr, in dem das emotionale Gehirn über seinen rationalen Counterpart auf ganzer Strecke triumphierte:

► 2019 ist ein SUV-Rekordjahr: Bis einschließlich November wurden rund 692.000 dieser Fahrzeuge in Deutschland neu zugelassen (siehe Grafik). Das entspricht einem Plus von rund 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

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► In diesem Jahr wird es Statista zufolge weltweit rund 39 Millionen Flüge geben – rund eine Million mehr als im Vorjahr (siehe Grafik unten). Vor 15 Jahren lag die Zahl lediglich bei rund 24 Millionen. Dem Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft zufolge wuchsen weltweit die Fluggesellschaften im ersten Halbjahr 2019 um 4,6 Prozent.

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► Die Lust der Europäer auf Fleisch ist ungebrochen - trotz der negativen Klimaeffekte der industriellen Massenzucht: Die Entwicklung des jährlichen Fleischkonsums ist von 2018 auf 2019 gestiegen: von 64,9 auf 65,3 Kilogramm pro Kopf. Im Jahr 2010 betrug der Konsum noch 63,4 Kilogramm.

Fazit: Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben. Am wenigsten über uns selbst. Greta Thunberg ist für uns immer beides: Person und Fiktion des Jahres 2019.

 

Die Europäische Union möchte bis 2050 der erste „klimaneutrale“ Kontinent der Erde werden. Dafür präsentierte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen – in Anlehnung an Franklin D. Roosevelts „New Deal“ – gestern die Überschriften für ihren „Green Deal“

► Bis 2050 dürfen keine neuen Treibhausgase aus Europa mehr in die Atmosphäre gelangen. Der Kontinent soll durch Konsumverzicht, Neubegrünung und industrielle Umrüstung nur noch das emittieren, was er auch absorbieren kann.
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► EU-Gesetze zur Energieeffizienz und zum Ausbau erneuerbarer Energien sollen verschärft werden. Die alten Kohlekraftwerke will man demontieren oder umrüsten. 

Klar ist: Der deutsche Steuerzahler wird in dreifacher Hinsicht von dem „Green Deal“ betroffen sein:

► Der Mitgliedsbeitrag Deutschlands zur Europäischen Union soll im Jahr 2027 annähernd 35 Milliarden Euro betragen. Das sind 8,5 Milliarden mehr als im kommenden Jahr fällig sind. Das geht aus dem Budgetplan für die Jahre von 2021 bis 2027 hervor. 

► Bei der Verknüpfung von Projekten der Europäischen Investitionsbank, die insgesamt ein Volumen von einer Billion Euro betragen sollen, und dem Aufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank – hier besitzt die EZB pro Monat eine Einkaufsermächtigung in Höhe von 20 Milliarden – steht der Steuerzahler als Bürge im Hintergrund. Kommt es zu Zahlungsausfällen, haftet der deutsche Staat entsprechend seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit – und damit stärker als andere.

► Zusätzlich plant die Kommission einen „Just Transition Fund“, ein neuer Subventionstopf vor allem für die Osteuropäer. Sie wollen und werden sich den Ausstieg aus der Kohleindustrie teuer bezahlen lassen. Dieser Fonds soll aus Umschichtungen im EU-Haushalt und zusätzlichen Zahlungen der Mitgliedstaaten gespeist werden.

Der Plan, die europäischen Volkswirtschaften klimaneutral zu stellen, ist zeitlich so ausgelegt, dass die heute handelnden Personen an der Zielerreichung nicht mehr gemessen werden können. Ursula von der Leyen wäre im Jahr 2050 dann 92 Jahre alt; der für die Durchführung des Green Deals zuständige Frans Timmermans 89 Jahre und der für die Außenbeziehungen Europas zur Welt verantwortliche Josep Borrell aus Katalonien würde dann seinen 103. Geburtstag feiern. 

Nur Greta Thunberg dürfte nach menschlichem Ermessen den Tag ihres Triumphs im vitalen Alter erleben. Im Jahr der Weltenrettung ist sie 47 Jahre alt. Aus „How dare you“ wird dann „Mission accomplished“.

Doch ob dieser Plan wirklich ein Plan oder nicht nur PR ist, lässt sich heute nicht ernsthaft bewerten. Die „Börsen-Zeitung“ kommentiert zu Recht:

Der Green Deal ist zurzeit nur eine leere Hülle, die aus Schlagworten besteht. Solange die Hülle nicht gefüllt ist, muss der Realitätscheck verschoben werden.“

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Der Mann hinter der Hülle heißt Jens Flosdorff. Er ist Ursula von der Leyens Dauerberater. Er kommuniziert für sie seit 2005, als die siebenfache Mutter und CDU-Politikerin aus Niedersachsen Bundesfamilienministerin wurde. Er blieb ihr Pressesprecher im Arbeits- und Verteidigungsministerium – und ist nun „Chefberater für Kommunikation im Kabinett der Präsidentin“.

Da er kein Französisch beherrscht, reichte es nicht für eine Festanstellung bei der Kommission, was für Flosdorff keinen Schaden bedeutet. Er wird mit 17.000 Euro pro Monat brutto vergolten. Der Green Deal schimmert für ihn golden.

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Mein Kollege Michael Bröcker war in Brüssel, als von der Leyen ihre hochfliegenden Pläne erst vor der Presse und dann vor dem EU-Parlament vorstellte. Im Anschluss sprach er mit Florian Eder, dem Managing Editor von „Politico“, darüber, wie die Pläne ankamen und von wo Widerstand droht. Eder sagt im Morning Briefing Podcast :

Sie hat gesagt, das wird unser ,Mann auf dem Mond’-Moment. Man kann alles Mögliche ankündigen. Es kommt darauf an, was man tatsächlich daraus macht.“

Eder geht davon aus, dass auf von der Leyen schnell harte Zeiten zukommen werden:

Der Verteilungskampf ums Geld beginnt jetzt erst. Länder wie Polen oder Ungarn, die Tschechische Republik oder Estland haben große Probleme, diesem Klimaneutralitätsziel zuzustimmen. Sie sagen: Wir müssen weg von der Kohle, aber dafür müsst ihr bitte schön zahlen. Das wird noch alles ziemlich heiß.“

 

Die neue EU-Kommission hat ehrgeizige Ziele auch beim Kampf gegen den Krebs. Aktuell sterben in Europa jährlich zwei Millionen Menschen an der Krankheit. Die Kommission hat vor, den Krebs zu besiegen – und zwar bis zum Jahr 2040. 

Im Januar will sie einen milliardenschweren Plan vorstellen, der vor allem drei Ziele hat: 

► Innerhalb der Union sollen Ungleichheiten bei der Behandlung von Krebs abgebaut werden. Chefarztvisite für alle.

► Die medikamentöse Versorgung der Patienten im Süden soll sich verbessern. Die Chemotherapie tritt dann auch südlich der Alpen und östlich der Oder ihren Siegeszug an.

► Vor allem aber die Vorsorge will man weiter popularisieren, auch in den Armutsregionen der EU.

Ursula von der Leyen begründet ihre Mission auch persönlich. Im Europaparlament sagte sie:

Als ich als Mädchen in Brüssel lebte, starb meine kleine Schwester im Alter von elf Jahren an Krebs. Ich erinnere mich an die enorme Hilflosigkeit meiner Eltern, aber auch der medizinischen Betreuer, die sich so liebevoll um sie kümmerten.“ 

Fazit: An ihren Taten, nicht an ihren Gefühlen werden wir sie messen. Der Ambition muss die Anstrengung folgen.
 
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„Das frustriert mich null“, behauptet Olaf Scholz im „Zeit“-Interview über seine Niederlage im Kampf um den SPD-Vorsitz.

Die Forderungen des SPD-Parteitages sind nun auch die seinen. Man werde in den Gesprächen mit der Union alles vorantreiben, was den Sozialdemokraten wichtig sei. Dazu gehöre der Mindestlohn ebenso wie die Grundrente – und auch der Abschied von der schwarzen Null. 

Diese sehe er nicht mehr als zwingenden Grundsatz der Haushaltspolitik. Zukunftsinvestitionen dürften „nicht an dogmatischen Positionen wie Schäubles schwarzer Null scheitern“, sagt der gewendete Scholz.

So klingt praktizierter Opportunismus. Wir lernen: Der SPD-Finanzminister hat auf dem Parteitag mehr verloren als nur eine Abstimmung. Zum Beispiel seine fiskalische Ehre.

 
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Der britische Premierminister Boris Johnson muss kurz vor der Parlamentswahl am Donnerstag um seine Mehrheit bangen. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge ist der Vorsprung der Konservativen gefährlich geschrumpft. Aktuell kommen die Torys demnach auf 43 Prozent, die Sozialdemokraten auf 33 Prozent. Die Liberaldemokraten liegen bei 13 Prozent.

Damit ist es nicht mehr ausgeschlossen, dass es zu einem „hung parliament“ kommt, einer Sitzverteilung, in der keine der beiden großen Parteien aus eigener Kraft eine Regierung bilden kann. Johnson müsste das vorzeigen, was er womöglich gar nicht besitzt: Kompromissbereitschaft.

 
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Eine traditionsreiche Firma ist plötzlich wieder modern: Trigema. Das mittelständische Familienunternehmen mit seinen 1.200 Mitarbeitern produziert in Burladingen und nicht in Bangladesch. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller outete sich kürzlich als Träger von Trigema-Unterwäsche, zum Zeichen seines nachhaltigen Lebensstils. 

Von den 100 Jahren der Trigema-Geschichte führt Wolfgang Grupp seit 50 Jahren die Geschäfte. Heute ist er zu Gast im Podcast-Studio . Wir sprechen über sein Unternehmen, die Werte eines Familienunternehmers, Merkels Flüchtlingspolitik – und warum er weder CDU noch AfD wählen mag. Man muss dem Mann nicht in allem zustimmen. Aber man sollte ihm zu hören. Hier spricht Deutschlands Mitte.

Das komplette Gespräch mit Wolfgang Grupp werde ich Ihnen am Samstag in einem Morning Briefing Sonderpodcast  anbieten.

Kommen Sie gut in den neuen Tag. Herzlichst grüßt Sie Ihr


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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