Mietendeckel unter Beschuss | „Lonley Planet“ Bonn
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
23.10.2019
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Guten Morgen H. Schulte,

in der Rolle der Weltstaatsfrau ist CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bisher nicht in Erscheinung getreten. Als saarländische Regierungschefin waren ihre außenpolitischen Ausflüge auf die Nachbarschaft begrenzt. Luxemburg, Paris, Elsass. Einmal besuchte sie als Generalsekretärin im Jahr 2018 den Freundeskreis der CDU in Washington D.C. und traf den Gouverneur von New Mexico.

Nun aber ist sie Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt der deutschen Streitkräfte und Bundesministerin der Verteidigung. Mit ihrem Vorstoß für eine international kontrollierte Sicherheitszone im syrischen Grenzgebiet rückt sie stürmisch auf die globale Bühne. Deutschland und die EU müssten ihre Rolle als „Zaungäste“ aufgeben, sagt sie und rüttelt via Fernsehinterview gleich selbst kräftig am Zaun. Ein riskantes Unterfangen. Übersetzt hieße das: Bundeswehrsoldaten müssten dort rein, wo US-Militärs gerade raus sind – in die militarisierte Zone des syrisch-türkisch-kurdischen Konflikts. 

Paris und London sind eingebunden, sagt AKK. Der Koalitionspartner war es nicht. SPD-Außenminister Heiko Maas, der für die UNO zuständig ist, die eine Schutzzone überwachen müsste, bekam eine SMS. Sie werde einen Vorschlag zu Syrien machen, stand darin. Die Bundestagsfraktionen, die über jeden Einsatz entscheiden müssen, waren ahnungslos. Selbst Kanzlerin Angela Merkel soll nur nebenbei informiert worden sein.

Die Initiative könnte die Statik der bisherigen Außenpolitik durchbrechen. Nico Fried, Berliner Büroleiter der „Süddeutschen Zeitung“, kommentierte:

Annegret Kramp-Karrenbauer hat einen Vorschlag gemacht, der das Potenzial hat, die deutsche Außenpolitik grundlegend zu verändern oder die Karriere der Verteidigungsministerin zu beenden.“ 

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Vizekanzler Olaf Scholz, der die SPD-Minister koordiniert, wusste von nichts. Im Interview für den Morning Briefing Podcast  kann der Sozialdemokrat seinen Unmut darüber kaum verhehlen: 

Da sind viele Fragen offen. Die werden jetzt Stück für Stück zu bereden sein. Das macht man eigentlich nicht so.“

Die Frage, was man international tut, ist etwas, über das sorgfältig gesprochen werden und das nicht Gegenstand eines Auftritts im Fernsehen sein sollte.“

Dabei hat der SPD-Minister gerade noch ganz andere Sorgen. Der gebürtige Osnabrücker steht am Scheideweg seiner eigenen Karriere. Seit fast 20 Jahren ist Scholz in führenden Parteiämtern, seit zehn Jahren stellvertretender Vorsitzender der SPD. Am Samstag könnte diese Karriere einen Knick bekommen. Dann, wenn der Vizekanzler von den rund 438.000 Parteimitgliedern nicht mit seiner Ko-Kandidatin Klara Geywitz zum neuen Vorsitzenden-Tandem bestimmt wird.

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In Umfragen liegt das Duo vorn, dicht gefolgt aber von den Konkurrenten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans (siehe Grafik), die Rückhalt bei den Jusos und im einflussreichen Verband haben. Mehr als ein Drittel der Mitglieder, so die Demoskopen, habe aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen. 

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Bei ihrer Entscheidung dürften auch Scholz’ Umfragewerte eine Rolle spielen: Zwar konnte der Finanzminister laut ARD Deutschlandtrend Boden gutmachen – mit 43 Prozent der Befragten überwiegt aber noch das Lager der Unzufriedenen. 

Scholz ist im Dilemma. Er ist der prominenteste Vertreter der Bewerber, aber auch die Personifizierung der ungeliebten Regierungs-SPD. Ein Linksruck an der Parteispitze wäre für den Pragmatiker Scholz, der „gutes Regieren zu seinem Leitbild erkoren hat, wohl gleichbedeutend mit dem frühzeitigen Renteneintritt. 

Im Interview gibt sich Scholz zuversichtlich, ans Scheitern zu denken sei „völlig sinnlos“:

Man geht ein demokratisches Risiko ein, das ist in einer Demokratie eine fröhliche Veranstaltung.“

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Sollten er und seine Partnerin die Wahl gewinnen, will er die Basis mit regelmäßigen Regionalkonferenzen einbeziehen:

Wir sollten solche Veranstaltungen in großer Zahl anbieten, damit die Mitglieder die Möglichkeit haben, die Leute, die Führungsverantwortung haben, konkret zu befragen.“

 
Den Ludwig-Erhard-Preis für kluge Wirtschaftspolitik wird der rot-rot-grüne Berliner Senat nicht mehr bekommen. Was die Hauptstadtregierung mit dem jetzt beschlossenen Mietendeckel für Neuvermietungen – von maximal 6,45 Euro pro Quadratmeter für Altbauwohnungen vor 1918 bis 9,80 Euro für Neubauten vor 2014 – umsetzt, ist eine ganz besondere Form des ökonomischen Unfugs. Das Vorgehen lässt sich mit einem abgewandelten Zitat des Dichters Gottfried Benn erklären: „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“
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De facto werden derzeit auf breiter Front die Mieten erhöht, weil die Vermieter vor der möglichen Gesetzgebung ihre Pfründe sichern wollen. Sollte das umstrittene Gesetz schließlich von den Gerichten als „verfassungswidrig“ eingestuft werden, wie der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier mutmaßt, hätten die Mieter in Berlin nichts gewonnen, außer einer vorzeitigen saftigen Mieterhöhung. 

Aber das ist nur ein Effekt. Das Konstrukt ist insgesamt ein Irrweg. Weder in der Theorie noch in der Empirie gibt es einen Beleg, dass eine gesetzlich fixierte Preisobergrenze zu dem Ziel führt, das die Politik postuliert: mehr bezahlbaren Wohnraum.

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Was passieren wird, ist Folgendes:

► Der private Anreiz für den Wohnungsbau erlahmt, dafür entsteht Bürokratie. Staatliche Mangelverwaltung dürfte folgen. In der DDR war dies zu beobachten. Zu wenige Wohnungen wurden an bestimmte Bevölkerungsgruppen (und besonders fleißige Stasi-Mitarbeiter) zugeteilt. Der durchschnittliche Bürger wartete in den 80er-Jahren vier bis sechs Jahre auf ein neues Zuhause. Als die Mauer fiel, lagen noch 800.000 Anträge vor. Für Modernisierungen fehlte das Geld. „Ruinen schaffen ohne Waffen“, lautete ein bekannter Witz frustrierter DDR-Bürger. Geschichte wiederholt sich: Der Berliner Senat will für die Überwachung des Mietendeckels bis zu 200 neue Mitarbeiter einstellen.

►Wenn der Preis als Steuerungssignal ausfällt, suchen sich Vermieter andere Kriterien für die Mieter-Auswahl. Das könnte zu einem Schwarzmarkt für begehrte Wohnungen in Innenstadtlage führen, befürchten Experten. Auch durch Luxus-Stellplätze für Pkws könnten Vermieter ihren Mietzinsverlust ausgleichen wollen. Ob der Verdrängungskampf Großfamilien oder Studenten-WGs hilft, darf bezweifelt werden.

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►Der US-Bundesstaat New York legte 1951 eine maximale Miete fest (rent control). Das Ergebnis: Mieter klammerten sich an ihre günstigen Wohnungen, es gab praktisch keinen Leerstand. Sanierungen blieben aus, der Mietzins war für Eigentümer unrentabel. Die Folge: Viele Gebäude verfielen oder mussten abgerissen werden. Heute gibt es nur mehr rund 21.800 Wohnungen in New York City, die der striktesten Form der Mietkontrolle unterliegen.

► So erging es Mietern auch in den ehemaligen Diktaturen in Spanien und Portugal: Die über Jahrzehnte gedeckelten Mieten ab Ende der 40er-Jahre führten zu einer Verknappung des Angebots und zu bröckelnden Bauten. In den 90er-Jahren stürzten allein in Lissabon 20 Häuser jährlich wegen Baufälligkeit ein.

Fazit: Der rot-rot-grüne Senat beglückt die Besitzenden. Die Wohnungssuchenden – Familien, Studenten, Zuwanderer – bleiben außen vor. Es ist eine asoziale Politik. Was wirklich helfen würde, wäre Bauland, Bürokratieabbau für Investoren und gleichzeitig eine konsequente Sozialbindung. Der frühere Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz hatte damit Erfolg. Der Mann ist übrigens Sozialdemokrat. 

 
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Das Bundeskabinett wird heute mit einer wichtigen Personalentscheidung die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verlängern. Die Bonner Finanzprofessorin Isabel Schnabel, Mitglied der Wirtschaftsweisen, soll in das EZB-Direktorium einziehen. Ausnahmsweise zeigte sich die Große Koalition bei diesem Vorschlag einig. Die 48-jährige promovierte Volkswirtin hat sich bisher – in Nuancen durchaus kritisch –, aber insgesamt doch hinter die umstrittene Geldpolitik des scheidenden Präsidenten Mario Draghi gestellt. Im Morning Briefing Podcast  sagte Schnabel unlängst:

Die Niedrigzinsen sind die Voraussetzung dafür, dass diese Schuldentürme nicht umfallen.“

Die nötige Fachkompetenz für den Job hat sie, den trockenen Humor für das nüchterne Finanzgremium auch. Die Nominierung der neuen EZB-Chefin Christine Lagarde kommentierte Schnabel so: „Es gibt schlechtere Kandidaten.“ Bleibt zu hoffen, dass ihr wissenschaftliches Spezialgebiet auf dem Feld der makroökonomischen und finanzpolitischen Krisen (ihre Promotion dazu absolvierte die gebürtige Dortmunderin mit „summa cum laude“) kein Vorbote für ihr Wirken an der Spitze der EZB ist.

 
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Der Deutschen Bank laufen ihre wichtigsten Mitarbeiter weg: Es geht um diejenigen, die die Finanzprodukte verkaufen sollen. Sie sind die Fußtruppen des Haustürgeschäfts. Früher wirkte die Deutsche-Bank-Visitenkarte bei der Kundenakquise wie ein Passierschein – die Vertriebler besorgten einst mehr als zwei Drittel des gesamten Vorsorgegeschäfts, die Hälfte der Bausparverträge und ein Viertel aller Baufinanzierungen. Durch die Skandale und Affären der vergangenen Jahre ist der Passierschein entwertet worden, das Vertrauen in die Bankvertreter ist erschüttert. Seit 2015 hat fast jeder fünfte Vertriebler die Deutsche Bank verlassen, hat „Finanz-Szene“ herausgefunden.

 

Wo steht die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich? Diese Grafik zeigt eindrucksvoll – und ernüchternd – das Ergebnis:

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Das US-Wirtschaftsmagazin „Fortune“ listet jährlich die weltweit 500 stärksten Unternehmen auf. Sortiert nach den bereinigten Gewinnen von 2018 muss man die großen Namen der einstigen Deutschland AG mit der Lupe suchen: Volkswagen, Allianz, Daimler, BMW und Siemens liegen auf den Plätzen 27, 65, 71, 73 und 88. Sie alle sind im Vergleich zum Vorjahr abgerutscht. 

Deutschlands Bestverdiener, die Volkswagen AG, erzielt nur etwa zwölf Prozent des Gewinns, den das Unternehmen an der Weltspitze einfährt: Aramco. Die staatliche saudische Ölgesellschaft verdiente 2018 jährlich 111 Milliarden US-Dollar. Der iPhone-Hersteller Apple folgt mit fast 60 Milliarden Dollar, immer noch viermal so viel wie der deutsche Wirtschaftsprimus. 

 
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dpa
 

Überraschung im „Lonely Planet“, dem wichtigsten Touristenführer – geschätzte Auflage rund 55 Millionen Stück – einer globalen Backpacker-Bewegung. Die Reiseexperten haben als neues Top-Ziel für Touristen ausgerechnet das beschauliche Bonn am Rhein ausgeguckt. Die frühere Hauptstadt, die sich in wehmütigen Erinnerungen an Konrad Adenauer und Helmut Kohl immer noch „Bundesstadt“ nennen darf, steht in einer Reihe mit Washington, Dubai und Kairo. Wir gratulieren! 

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Ein Grund für das Lob: Im Jahr 2020 feiert Bonn mit einem außergewöhnlichen Kulturprogramm den 250. Geburtstag ihres berühmtesten Sohnes, Ludwig van Beethoven. Für den Morning Briefing Podcast  haben wir den rheinischen Kabarettisten Konrad Beikircher deshalb um eine völlig subjektive Lobhudelei auf seine Heimatstadt gebeten. Er sagt:

Bonn ist rheinischer als alle rheinischen Städte.“

Na dann. Machen Sie et joot!

Unterschrift-Broecker
Michael Bröcker, Chefredakteur Media Pioneer
(in Vertretung für Gabor Steingart)
 
 
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