Gabor Steingart - Das Morning Briefing
22.07.2020
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Guten Morgen Wolfgang Schlage,

der große EU-Gipfel brachte drei Gewinner und einen Verlierer hervor. Sprechen wir zunächst von den Gewinnern:

Gewinner Nummer 1 ist der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Mit seiner wohltemperierten Art, die Festigkeit in der Sache mit Verbindlichkeit im Ton kombiniert, gelang es ihm, ein Bündnis der Vernunft zu schmieden. Fünf Volkswirtschaften – die zusammen über ein Bruttosozialprodukt von dreimal Nordrhein-Westfalen – vereinte er zu einem kraftvollen politischen Block

Diesem Bündnis gelang es, die Zuschüsse der EU, die in Wahrheit Geschenke sind, von geplanten 500 Milliarden auf 390 Milliarden Euro zu reduzieren. Plus: Die jährliche Rabattsumme für Österreichs Beitrag zum EU-Budget wurde von 237 Millionen Euro auf 565 Millionen Euro angehoben, was einer Steigerung um 138 Prozent entspricht. Damit kann sich Sebastian Kurz, der Sparsame, zu Hause blicken lassen. Seit Bruno Kreisky hat kein österreichischer Kanzler auf dem internationalen Parkett derart Bella Figura gemacht.

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Gewinner Nummer 2 ist der italienische Regierungschef Giuseppe Conte. Er bezeichnete am Dienstagmorgen in einer Videokonferenz die Beschlüsse zu Recht als „historischen Moment für Italien.“ Conte ist es gelungen, für die dysfunktionale italienische Staatlichkeit 208,8 Milliarden statt der ursprünglich geplanten 172 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds herauszuholen, davon 81,4 Milliarden an Zuschüssen und 127,4 Milliarden an Krediten.

Zusätzlich gelang es ihm, das von den Niederländern geforderte Vetorecht bei der Auszahlung der Zuschüsse abzuwehren. Das italienische Unvermögen, eine moderne Staatlichkeit mit einer funktionierenden Steuerverwaltung aufzubauen, wird nicht bestraft, sondern honoriert. Europa hat dem italienischen Patienten keine Medizin verabreicht, sondern neue Halluzinogene gespritzt.

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Gewinner Nummer 3 ist Emmanuel Macron. Der Mann weiß, wie man Geld, das man nicht besitzt, in Prestige verwandelt. Ihm ist es gelungen, der Kanzlerin in der Abendsonne ihrer Amtszeit den französischen Etatismus nahezubringen. 

Dem schon von vielen französischen Präsidenten der Nachkriegszeit verfolgten Ziel, einen EU-Finanzminister als Ouvertüre zu einer Fiskalunion durchzusetzen, ist er spürbar näher gerückt. Das „europäische Schatzamt“ mit dem Recht, sich auf dem internationalen Kapitalmarkt eigenständig zu verschulden, wird Wirklichkeit. Und – auch das ist nicht zu verachten – Macron sicherte sich aus dem Coronafonds der EU knapp 40 Milliarden Euro als Blankoüberweisung. Das entspricht einem Drittel der französischen Bildungsausgaben.

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Womit wir bei dem Verlierer dieser Rettungspolitik wären: 

Die Idee von der Sozialen Marktwirtschaft hat einmal mehr Schaden genommen. Die ihr innewohnende Kraft, Innovation hervorzubringen, Mangel zu beseitigen und Wohlstand für die größtmögliche Zahl an Menschen zu schaffen, wird heute nicht mehr geschätzt, sondern bestritten.

Das Spiel von Angebot und Nachfrage gilt dem europäischen Establishment nicht mehr als segensreich, sondern als suspekt. Der Retterstaat, der im Gefolge der Finanzkrise erwachte und in der Pandemiebekämpfung zu neuer Größe empor schoss, will sich jetzt spüren. Europa will nicht mehr „Wettbewerbshüter“ (Walter Eucken) und „Schiedsrichter“ (Ludwig Erhard) sein, sondern Marktmacher und Torschützenkönig.

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Die europäische Staatlichkeit, die von der EU-Kommission über die Europäische Entwicklungsbank und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bis zur EZB reicht, ist ein auf Dauer angelegtes Herrschaftssystem, das nach Dominanz strebt. Ihre im 1,8 Billionen-Budget (siehe Grafik) sichtbar gewordene Ambition ist es, die politische Einigung des Kontinents  zu befördern, den Klimawandel zu bekämpfen und die Folgen einer globalen Pandemie ungeschehen zu machen.

Die Gefahr ist real, dass sich Europa überhebt und in vielem das Gegenteil des Gewünschten erreicht: Die Konservierung fiskalisch unhaltbarer Zustände, die Überdehnung des Staates, bürokratische Lähmung statt wirtschaftlicher Stimulation und schließlich Bürgerverdruss durch eine mutwillig entfachte Inflation.

Die Geschichte liebt Paradoxien. Womöglich bringt der von allen Zeitungen als „historisch“ gefeierte Einstieg in die Schuldenunion Europa seiner nationalstaatlichen Abbruchkante näher als vielen bewusst ist. Oder um es mit Erich Kästner zu sagen:

Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Fantasie.“

 
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Meine Kollegin Alev Doğan informiert Sie in der heutigen Sonderausgabe unseres  Hauptstadt-Newsletters über folgende Themen:

► Die junge FDP-Abgeordnete Gyde Jensen erwartet vom Deutschen Bundestag, dass sie mit ihrem Baby den Plenarsaal betreten darf .

► Der SPD-Politiker und ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels erinnert an den historischen Wahlsieg Schröders von 1998und fordert den Bruch seiner Partei mit den verlorenen Jahren, die nach Schröders Abgang begannen 

► Der Finanzexperte Gerhard Schick – einst grüner Bundestagsabgeordneter – wünscht sich den Neustart der Bafin. Die Finanzaufsicht habe versagtnicht nur bei Wirecard .
 
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Erstens. Roland Kaiser eröffnet die Berliner Konzertsaison, die coronabedingt verschoben wurde. Statt der geplanten 22.000 Gäste dürfen beim Auftritt am 4. September in der Berliner Waldbühne nur 5.000 Menschen zuhören.

Zweitens. Heute präsentiert Tesla seine Geschäftsergebnisse des zweiten Quartals. Neben den Zahlen werde es „viel zu erzählen geben“, twittert Konzernchef Elon Musk – und schürte damit die ohnehin schon hohe Erwartungshaltung an den derzeit wertvollsten Autohersteller der Welt.

Drittens. Trotz eines Gewinnrückgangs im zweiten Quartal will die Schweizer Großbank UBS ihre Aktienrückkäufe wieder aufnehmen und Dividenden zahlen.

Viertens. Europas größte Billigairline Ryanair dürfte bereits zum 1. November ihre Basis am Hunsrück-Airport Hahn schließen. Auch den Standorten in Berlin-Tegel und im nordrhein-westfälischen Weeze drohe das Aus, teilte die Ryanair-Tochter Malta Air in einem internen Schreiben mit. 

Fünftens. Der US-Softwarekonzern Microsoft legt nach Börsenschluss seine Bilanz für das abgelaufene Quartal vor. Analysten rechnen mit starken Zahlen, die Bill Gates erneut reicher als reich machen.

 

Silvia Breher ist 46 Jahre alt und auf einem niedersächsischen Bauernhof aufgewachsen. Im vergangenen Jahr wurde sie stellvertretende CDU-Chefin. Im Podcast-Interview mit meinem Kollegen Gordon Repinski spricht sie über Glanz und Elend der Frauenquote:

Wir haben oft gesagt, wir haben ja die Kanzlerin und die Parteivorsitzende und jetzt auch noch die EU-Kommissionspräsidentin – aber das ist eine Feigenblattdiskussion, die nicht wirklich ehrlich ist. Wir müssen an der Basis gucken: Wo haben wir die Frauen?“

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Klick aufs Bild führt zur aktuellen Podcast-Folge
 
Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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