Libanon leidet | Bewährungsprobe für Adidas-Chef
 

Gabor Steingart - Das Morning Briefing
06.08.2020
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Guten Morgen Volker Beissenhirtz,

wenn einer seine Bewerbungsmappe zusammenstellt, dann sind Vorgesetzte und Wegbegleiter gefragt, Zeugnis abzulegen von der Großartigkeit des Kandidaten. In den meisten Zeugnissen wird gelobt, dass sich die Balken biegen.

Frank-Walter Steinmeier hat kein Zeugnis erbeten, aber gestern eines bekommen – aus der Hand seines früheren Vorgesetzten, Bundeskanzler Gerhard Schröder. Bei einer politischen Stadtrundfahrt, journalistisch begleitet von ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker, sagte Schröder auf die Frage, ob er sich eine zweite Amtszeit des Bundespräsidenten wünsche:

Ja, das würde ich mir wünschen. Seine Frau und er sind wirklich tolle Persönlichkeiten. Sie repräsentieren ein modernes, ein aufgeklärtes Deutschland, wie ich es mir wünsche. Besser ist Deutschland selten repräsentiert worden.“

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Credit: Marco Urban
 

Damit hat der Altkanzler die Debatte um die im Frühjahr 2022 anstehende Präsidentenwahl eröffnet. Wer nicht parteipolitisch verblendet ist, wird in der Tat auf drei Argumente stoßen, die für Frank-Walter Steinmeier sprechen:

Erstens: Deutschlands älteste Partei wirkt verschlissen und bewegt sich seit Längerem schon machtpolitisch in Richtung Hinterausgang. Mit ihren 14 Prozent Wählerzustimmung ist kein Staat mehr zu machen. Ein sozialdemokratischer Bundespräsident wäre das Stück bundesdeutsche Nachkriegstradition, das in die Neuzeit hineinragt. Den sturzartigen Untergang der Kleine-Leute-Partei kann sich kein Demokrat wünschen.

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imago
 

Zweitens: In Zeiten des rasanten ökonomischen Wechsels ist politische Stabilität gefragt. Sie gibt einer Gesellschaft, die an der Schwelle von der Industriegesellschaft zum Digitalzeitalter steht und zweifelt, Selbstvertrauen und kulturellen Halt. Wenn der Satz richtig ist, dass Zukunft Herkunft braucht, dann verkörpert Steinmeier exakt jene Voraussetzung, die die Moderne aus sich selbst nicht hervorbringen kann. 

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Drittens: Steinmeier ist ein Mann der Mitte, der in den vergangenen Jahren seine Reputation vermehrt hat wie der Knecht im Matthäus-Evangelium die ihm vom Herrn anvertrauen Talente aus Silbergeld. Er ist der Anti-Populist, der in einer sich selbst beschleunigenden Erregungsgesellschaft wie ein Beruhigungsmittel wirkt. Aufputscher gibt es heute an jeder Straßenecke. Steinmeier trifft den anderen, den moderaten Ton. Jetzt fehlt ihm nur noch ein Thema.
 
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Credit: Sina-Maria Schweikle
Beirut, die Hauptstadt des Libanon, ist seit Dienstag, 18.08 Uhr, eine Stadt in Trümmern. Noch ist nicht klar, was der Auslöser der massivsten Explosion war, die Beirut jemals erschüttert hat. Klar ist nur, dass die Wucht, die mehr als hundert Menschen tötete, Tausende verletzte und Hunderttausende in die Obdachlosigkeit riss, ausgelöst wurde durch rund 2.700 Tonnen gefährliches Ammoniumnitrat, das offenbar unsachgemäß gelagert wurde.

Die deutsche Journalistin und Fotografin Sina-Maria Schweikle hat das Unglück vor Ort erlebt. Sie wohnt in Beirut und berichtet über ihre Arbeit auf ihrem Blog „facebook.com/postausnahost“. Im Morning Briefing Podcast  beschreibt sie die Zerstörung, die ihr Zuhause umgibt:
Man steht plötzlich auf einer Straße, die man so nicht mehr kennt: übersät mit Staub, mit Glasscherben, mit Menschen, die schreiend durch die Gegend laufen, Verletzte, Blut überall, panische Menschen, die sich an einem festkrallen, weil einfach keiner so richtig weiß, was tun in diesem Moment.“
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Credit: Sina-Maria Schweikle
Das ist ein Bild vollkommener Zerstörung. Die Fensterscheiben sind eingerissen, es fehlen Wände, Balkone sind weggebrochen, es gibt auch manche Häuser nicht mehr, die einfach umgekippt sind. Stattdessen gibt es jetzt viele Obdachlose.“
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Die Corona-Pandemie hat dem Aufstieg der Tourismusindustrie ein abruptes Ende gesetzt. Bislang erreicht sie erst ein Drittel des Vorjahresumsatzes. Die Beschäftigten erleben eine Nahtoderfahrung. Würden wir im Mittelalter leben, könnte man glauben, es liege ein Fluch über der Branche.

➤ Im März, als das unbekannte Virus die Welt nahezu zum Stillstand brachte, landeten an den Hauptverkehrsflughäfen in Deutschland 62,9 Prozent weniger Flugzeuge als im Vorjahresmonat. 

➤ Wer nicht fliegt, braucht weder Reisebüro noch Reiseveranstalter: Dort ging im ersten Quartal der Umsatz um 22,9 Prozent zurück.

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dpa
 

➤ Fluggesellschaften und Flugzeugbauer braucht es in dieser Situation im Grunde auch nicht. Die Umsatzerlöse der Lufthansa brechen genauso ein wie die bei Airbus.

➤  Dass die Passagierzahlen schrumpfen, macht logischerweise auch den Flughäfen zu schaffen. Der Betreiber des Frankfurter Flughafens Fraport kündigte an, 3.000 bis 4.000 Stellen zu streichen. Das Unternehmen rechnet im Gesamtjahr mit Verlusten.

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Fazit: Die Globalisierung wird durch Corona nicht beendet, wohl aber verlangsamt. Und das Körperliche wird vielfach ins Digitale transformiert. Der Staat kann vieles retten, aber nicht die Welt von gestern.

 
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dpa
 

Michael Otto, Aufsichtsratsvorsitzender und langjähriger Vorstandsvorsitzender der Otto Group, ist heute zu Gast im neuen Tech Briefing Podcast . Er mahnt seine Zunft, die der Familienunternehmer, zur Veränderung:

Armut, Klimawandel oder der Rückgang der Biodiversität – es stehen viele Themen an, die gelöst werden müssen. Unternehmerinnen und Unternehmer sind Teil des Problems, aber vor allem auch Teil der Lösung.“

Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher, sonst zerstören wir systematisch die Welt, in der wir leben.“

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Wir sollten die soziale Marktwirtschaft zu einer ökosozialen Marktwirtschaft weiterentwickeln. Ich hoffe, dass dieses Umdenken nicht wieder verschwindet, wenn wir wieder in normale Zeiten kommen.“

Was Otto über das Umdenken von Kunden und Unternehmern in der Corona-Zeit denkt, wo er Deutschlands Position zwischen den Digitalmächten USA und China lokalisiert und wieso er einst eine Amazon-Beteiligung, die ihm Jeff Bezos persönlich angetragen hatte, ausschlug, hören Sie im Tech Briefing Podcast  auf Spotify, Apple Podcasts oder ganz bequem auf unserer ThePioneer-Webseite. Prädikat: Hörenswert!

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Große deutsche Traditionsunternehmen legen heute ihre Quartalszahlen vor:

➤ Bei Siemens bricht mit der Abspaltung von Siemens Energy und Siemens Healthineers eine neue Ära an. Man hat zwar nichts Neues erfunden. Aber man hat das Bisherige neu verteilt. Die Analysten sind bescheiden geworden und unterstützen die Zellteilung: Wer in diesen Zeiten keine roten Zahlen liefert, gilt schon als Delivery Hero.

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➤ Die Corona-Krise hat dem Sportartikelhersteller Adidas schwer zugesetzt. Im ersten und im zweiten Quartal sackten Gewinn und Umsatz kräftig ab.

Die Vorstellung der Halbjahreszahlen wird für CEO Kasper Rorsted nur deshalb kein Debakel, weil der Aufsichtsrat ihm bereits prophylaktisch den Rücken stärkte. Sein Vertrag wurde vorzeitig bis zum 31. Juli 2026 verlängert. Nun muss Rorsted nur noch beweisen, dass sich dieser Vertrauensvorschuss auch für die Aktionäre in Euro und Dollar verzinst.

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➤ Der Verlust bei Lufthansa dürfte in diesem Jahr rekordverdächtig ausfallen. Die getrübte Stimmung bei den Aktionären wollte Lufthansa-Chef Carsten Spohr deshalb mit einem kleinen Geschenk aufheitern: Eine Einigung zwischen dem Vorstand und den Personalvertretern vor der heutigen Halbjahresbilanz war geplant.

Doch das war weder mit den Piloten, noch den Flugbegleitern oder dem Bodenpersonal zu machen. Die denken sich: Wo wir schon nicht fliegen können, können wir wenigstens pokern. Die Pokerkasse ist dank milliardenschwerer Staatshilfe gut gefüllt. Die Pandemie wirkt für Piloten und Stewardessen wie ein Bonusprogramm: Corona plus.

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➤ Auch anderswo läuft es nicht rund: Bei BMW werden 6000 Stellen gestrichen. Bei den Elektronikketten Media Markt und Saturn stehen bis zu 3500 Vollzeitjobs zur Disposition.

Fazit: Die deutsche Wirtschaft ist nicht über den Berg. Selbst das Gipfelkreuz ist noch nicht in Sichtweite. Nebel umweht viele Geschäftsmodelle.
 
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dpa
 

Der Vorstand der Deutschen Post löst das ein, was viele sich in den Corona-Monaten gewünscht haben: Er bezeugt Respekt vor den tapferen Helfern, die unentwegt Briefe und Pakete austragen – Trepp auf, Trepp ab, trotz Infektionsrisiko. In den Wochen der Isolation und der Geschäftsschließung waren sie für viele Menschen der einzig funktionierende Kontakt zur Außenwelt.

Der Post-Vorstand hat daher nun beschlossen jedem Mitarbeiter – und zwar weltweit – einen Corona-Bonus von 300 Euro zu zahlen. Dass summiert sich bei 546.924 Mitarbeitern auf rund 165 Millionen Euro. Selbst in der Zählweise von Ex-Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper wären das mehr als drei Peanuts.

Ich wünsche Ihnen einen beherzten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr


Gabor Steingart
Journalist & Buchautor
 
 
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