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Annäherungsversuch "Offerte von Friedrich Merz ist ein Kompliment für uns Grüne"

Der CDU-Politiker Friedrich Merz plädiert für ein schwarz-grünes Bündnis. Ex-Grünenchef Cem Özdemir freut sich offenbar darüber – andere Politiker seiner Partei trauen Merz' Annäherungsversuch nicht.
Cem Özdemir führte die Grünen von 2008 bis 2018

Cem Özdemir führte die Grünen von 2008 bis 2018

Foto: Felix Kästle/ DPA

Friedrich Merz und die Grünen, das passt in etwa so gut zueinander wie Salz zum Kaffee. Die Grünen finden sich selbst progressiv, sie haben einen linken Flügel, sie hadern mit Freihandelsabkommen wie TTIP, manch ein Basismitglied gar mit der Marktwirtschaft. Das passt nicht zu Merz, der als tiefschwarz und neoliberal gilt, und schon mal eine Debatte über das Grundrecht auf Asyl anzettelt, wenn es ihm opportun erscheint.

Ausgerechnet Merz hat nun in einem SPIEGEL-Interview  für die Zusammenarbeit mit den Grünen plädiert, ihnen quasi ein Angebot gemacht. "Ich traue mir zu, das Unionsprofil in einer Konstellation mit den Grünen klar erkennbar zu machen und dafür zu sorgen, dass wir nicht nur wirtschafts- und finanzpolitisch vernünftige Dinge beschließen, sondern auch in gesellschaftspolitischen Fragen." Merz sieht sich in so einer Koalition selbstverständlich an der Spitze.

"Immer klarer, dass die ökologische Modernisierung unseres Landes nur mit starken Grünen geht"

Cem Özdemir

Die Grünenchefs Annalena Baerbock und Robert Habeck wollen darauf auf Anfrage nicht reagieren. Anders Cem Özdemir, der die Grünen von 2008 bis 2018 als Vorsitzender führte und dem konservativen realpolitischen Flügel, genannt "Realos", der Grünen angehört. Das Angebot freute ihn offenbar: "Die Offerte von Friedrich Merz ist ein Kompliment für uns Grüne in Bund und Ländern", sagte er dem SPIEGEL, "schließlich wird immer klarer, dass die ökologische Modernisierung unseres Landes nur mit starken Grünen geht", sagte er.

Özdemir betonte zudem den neuen Führungsanspruch seiner Partei: Die Zeiten der alten Arbeitsteilung, während der sich SPD oder die Union sich um die Wirtschaft kümmerten und die Grünen etwas Grün beisteuerten, seien endgültig vorbei. "Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie findet längst innerhalb der Grünen statt, wie der wachsende Zuspruch für uns durch die Wirtschaft zeigt."

Die Grünen versuchen seit Jahren, sich politisch breiter aufzustellen und Felder wie Wirtschaft oder innere Sicherheit nicht der Konkurrenz zu überlassen. Am vergangenen Freitag stellten die Vorsitzenden Baerbock und Habeck und der politische Geschäftsführer Michael Kellner den Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms vor. Baerbock sagte, das Programm untermauere ihren Führungsanspruch, Kellner erklärte, sie hätten nun nicht mehr den Anspruch, Korrektur zu sein, sondern wollten anführen.

Neben Merz bewerben sich derzeit auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet und der frühere Umweltminister Norbert Röttgen auf den Posten des CDU-Chefs. Zudem gibt es seit Monaten Spekulationen darüber, ob der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder sich nicht doch noch auf die Kanzlerkandidatur bewerben möchte.

Brugger wirft Merz vor, er blicke die Grünen nicht

Bei den Grünen glauben viele, dass Merz als Kanzlerkandidat bei der Wahl im kommenden Jahr der einfachste Gegner wäre. Er, so die grüne Hoffnung, würde als konservativer Hardliner viel Raum in der Mitte lassen. Aber an einem Kabinettstisch mit ihm zu sitzen, ist für viele Grüne, besonders die des linken Flügels, eine unangenehme Vorstellung. Dazu kommt: Derzeit liegen die Grünen laut Umfragen 17 bis 20 Prozentpunkte hinter der Union. Zumindest aktuell sieht es nicht so aus, als könnten die Grünen beim Kampf mit der CDU/CSU um Platz eins tatsächlich gewinnen.

Agnieszka Brugger, Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag und Anhängerin des linken Flügels, sagte dem SPIEGEL, die Grünen wollten ein Jahr vor der Wahl nicht über wilde Koalitionspokereien reden, sondern über politische Lösungen diskutieren. "Friedrich Merz blickt uns Grüne auch nicht: Grün sein ist kein diffuses Lebensgefühl, sondern die politische Überzeugung, dass konsequenter Klimaschutz, sozialer Zusammenhalt und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehören", sagte sie.

"Er liefert für seine angebliche Wandlung weg vom eiskalten Mister Neoliberal keine inhaltliche Begründung."

Agnieszka Brugger

Brugger zweifelt an der Integrität von Merz: "Offensichtlich stehen bei Friedrich Merz vor allem die eigenen Machtambitionen und Imageprobleme im Vordergrund, denn er liefert für seine angebliche Wandlung weg vom eiskalten Mister Neoliberal keine inhaltliche Begründung. So nimmt ihm wahrscheinlich vorerst niemand seine Geschichten vom neuen Best Friend von Angela Merkel oder großen Grünenversteher ab."

Sven Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion und ebenfalls Anhänger des linken Flügels, findet, das Interview wirke ziemlich verzweifelt. "Das sieht wie eine durchschaubare Nummer im innerparteilichen Wahlkampf aus, um sich aus dem Homeoffice mal wieder ins Gespräch zu bringen", sagte er. Die Union habe vor der Coronakrise große innerparteiliche Risse gehabt, diese würden wieder sichtbar werden, je näher das Ende der Kanzlerinnenschaft von Angela Merkel rücke.

Doch nicht nur Politiker des linken Flügels, auch Realo-Anhänger sehen Merz' Avancen kritisch. Der Wirtschaftspolitiker Danyal Bayaz sagte dem SPIEGEL, Merz stehe mehr für Vergangenheit als für Zukunft - sowohl gesellschaftspolitisch als auch wirtschaftspolitisch.

Ob sich die Frage nach einer schwarz-grünen Koalition unter Merz tatsächlich stellt, ist zurzeit reine Spekulation - Merz werden vonseiten der Grünen jedenfalls keine allzu großen Chancen auf die Kanzlerkandidatur eingeräumt.