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Fragwürdiger VW-Deal mit der Justiz Die Wahrheit ausgebremst

Im Dieselskandal ging es VW nie um volle Transparenz und Aufklärung. Nun erspart die Justiz dem Topmanagement einen peinlichen Prozess - und belohnt damit noch die Mauer-Strategie des Konzerns.
Konzernlenker Diess, Pötsch

Konzernlenker Diess, Pötsch

Foto: Ronny Hartmann/ DPA

Die Einigung mit dem Landgericht Braunschweig und der Staatsanwaltschaft bewahrt die aktuelle VW-Spitze vor einem quälenden Prozess, der womöglich Jahre gedauert hätte.

Sie mag, rein juristisch, korrekt sein. Doch sie hat den schalen Beigeschmack, dass die Vorwürfe gegen Herbert Diess und Hans Dieter Pötsch ungeklärt bleiben und Volkswagen sehr günstig davonkommt: Neun Millionen Euro Geldauflage muss der weltgrößte Autokonzern bezahlen, um die beiden mächtigsten Männer im Unternehmen vom Vorwurf der Marktmanipulation freizukaufen

Beide Manager sollen die VW-Aktionäre zu spät über die drohenden finanziellen Folgen des Dieselskandals informiert haben, genau wie der dritte Beschuldigte, Ex-Chef Martin Winterkorn, der ebenfalls kurz vor einem Vergleich mit der Justiz stehen soll. Die Verteidigungsstrategie des Konzerns, möglichst wenig zuzugeben, nach außen kaum Transparenz zu gewähren und die Vorwürfe mit aller Macht vom Topmanagement fernzuhalten, scheint nun aufzugehen. Die Aufarbeitung wirkte zögerlich und unvollständig, der versprochene interne Untersuchungsbericht wurde nie veröffentlicht.

Auch Ex-Chef Winterkorn hat wohl nichts mehr zu befürchten

Die VW-Führung sprach in den vergangenen Jahren lieber über E-Mobilität und das angeblich neu entdeckte grüne Gewissen des Konzerns. Alles sollte danach aussehen, als habe niemand im Vorstand etwas vom Dieselbetrug, einem der größten Wirtschaftsskandale der Nachkriegsgeschichte, mitbekommen. An der zumindest fragwürdigen Version, die Dieselaffäre sei nur das Werk nachrangiger Manager und Techniker gewesen, hält der Konzern bis heute fest. 

Wenn das stimmt, wäre der damalige Vorstand juristisch entlastet, hätte als Führungs- und Kontrollorgan jedoch versagt. Diess kam erst im Sommer 2015 zu VW, er gehörte dem Topmanagement bis zum Bekanntwerden von Dieselgate nur einige wenige, wenn auch entscheidende Monate an. Pötsch hingegen war als damaliger Finanzchef jahrelang die Nummer Zwei hinter dem früheren Vorstandschef Martin Winterkorn.

Vonseiten der Staatsanwaltschaft Braunschweig hat VW jetzt nicht mehr viel zu befürchten. Das zweite Verfahren wegen Betrugs, in dem unter anderem Winterkorn und mehrere Führungskräfte unterhalb des Vorstands beschuldigt werden, kommt seit der Anklageerhebung vor einem Jahr kaum voran. Der Staatsanwaltschaft werden Mängel in der Beweisführung vorgeworfen. Selbst wenn es zum Prozess kommt, säße im prominentesten Fall Ex-Chef Winterkorn auf der Anklagebank. Das wäre für VW zu verschmerzen, schließlich hat sich der Konzern im Herbst 2015 von ihm getrennt. 

Die Einigung ist auch ein Rückschlag für klagende Aktionäre. Seit Herbst 2018 versuchen Anteilseigner von VW in einem Musterverfahren Schadensersatz zu erstreiten. Im Kern geht es um den gleichen Vorwurf, dem die Staatsanwaltschaft in dem Verfahren gegen Diess und Pötsch nachgegangen ist: Die Aktionäre argumentieren, die VW-Führung hätte sie viel früher über drohende Strafen wegen der Abgasmanipulation informieren müssen. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht Braunschweig zugunsten der Anleger entscheidet. Leichter ist das Verfahren für die Investoren jedoch nicht geworden. Die Hoffnung, ein Strafprozess könnte ihnen wichtige Beweise und Argumente liefern, hat sich zerschlagen. 

Es passt ins Bild, dass VW auch die eigenen Dieselkunden in Deutschland nur zögerlich und vergleichsweise spärlich entschädigt. Ähnlich wie die Aktionäre hatten Fahrzeughalter ein Musterverfahren angestrengt. Um einen jahrelangen Prozess zu vermeiden, stimmte VW schließlich einem Vergleich zu, der weit hinter die Beträge zurückfällt, die der Konzern unter dem Druck der US-Behörden den amerikanischen Kunden zahlte.

Die Milde gegenüber Managern hat Tradition

Die Einstellung des Strafverfahrens gegen Diess und Pötsch setzt eine lange Reihe von Deals fort, mit denen Ermittlungen gegen Manager in Deutschland häufig enden. Die höchste Geldauflage, die hierzulande je in einem Wirtschaftsstrafverfahren fällig wurde, zahlte einst Bernie Ecclestone, bis 2017 Chef der Formel 1, der sich wegen Bestechung vor Gericht verantworten musste. Im Mannesmann-Prozess zahlte 2006 der frühere Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann 3,2 Millionen Euro, ihm und anderen Managern war vorgeworfen worden, sie hätten dem damaligen Management des Mobilfunkkonzerns im Zuge des Verkaufs an Vodafone überhöhte Prämien gezahlt und somit Geld veruntreut. 

Eine mögliche Verurteilung vermied auch Dirk Jens Nonnenmacher, Ex-Chef der HSH Nordbank, dem im Zusammenhang mit windigen Geschäften in der Finanzkrise ebenfalls Untreue vorgeworfen worden war. Er kam mit 1,5 Millionen Euro Geldauflage davon. 2019 stellte die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Verfahren gegen Carsten Kengeter ein - Geldauflage: 4,75 Millionen Euro. Sie hatte gegen den ehemaligen Chef der Deutschen Börse wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt, weil er mitten in den Verhandlungen über einen Verkauf der Börse an die Konkurrenz aus London Aktien seiner Firma im Wert von 4,5 Millionen Euro gekauft hatte.

Ob all diese Manager schuldig oder unschuldig waren, blieb letztlich ungeklärt. Offenbar ist die Beweisführung in Wirtschaftsstrafverfahren besonders schwierig, Staatsanwälte und Gerichte wirken nicht selten überfordert. Auch im VW-Fall deutete sich bald an, dass es zu einem Vergleich kommen werde: Die verantwortlichen Ermittler sollen ihn frühzeitig angeboten haben. Bei vielen Bürgern bleibt der fatale Eindruck hängen, dass reiche Manager sich freikaufen können. Diese wiederum müssen mit dem Makel leben, den ein solcher Freispruch zweiter Klasse trägt. Diess und Pötsch zeigen sich weiterhin von ihrer Unschuld überzeugt, auch die Rechtsberater des Aufsichtsrats sehen das so. Das Narrativ für den Deal ist, dass man das Verfahren im Interesse des Unternehmens zu Ende bringen wollte.

Kein Korrektiv im Klub der VW-Männer

Wer nun wen schützt, wird ungeklärt bleiben, der Gewinner heißt VW. Der Konzern hat den finanziellen Schaden des Dieselskandals mit einer ebenso rigorosen wie fragwürdigen Strategie eingedämmt, was das alles überragende Ziel der Aufarbeitung gewesen sein dürfte. Selbst der Imageschaden scheint fast vergessen, die Autos verkauften sich trotzdem, VW hat ein Rekordjahr hinter sich. Ob der Konzern wenigstens für die Zukunft die richtigen Schlüsse aus Dieselgate zieht, wird man erst in einigen Jahren erkennen. Das Management hat einen Kulturwandel versprochen und interne Abläufe verbessert, zum Beispiel gibt es jetzt endlich eine funktionierende Hotline für Whistleblower, damit interne Hinweisgeber Verstöße melden können. 

Doch in der Führungsriege und -kultur gibt es weiterhin Änderungsbedarf. Den Skandal um Manipulation der Dieselmotoren und Betrug am Kunden hätte es wohl nicht gegeben, "wenn Frauen an der Konzernspitze etwas zu sagen gehabt hätten", sagte kürzlich die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. "In einem homogenen Klub", so Schnitzer, fehle jegliches Korrektiv. Über diese These lässt sich sicher streiten. Fakt aber ist: Im VW-Vorstand sitzt heute gerade mal eine Frau, der Rest sind weiße, deutschsprachige Männer. Der Aufsichtsrat wird bis heute von den Vertretern der Eigentümerfamilien und des Landes Niedersachsen dominiert, an unabhängigen externen Kontrolleuren mangelt es - und an der Spitze steht weiterhin der ewige Hans Dieter Pötsch.