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Wirtschaft Machtkampf bei VW

Das fremde Wolfsburg wird dem Volkswagen-Chef zum Verhängnis

Wirtschaftsreporter
VW-Konzernchef Diess gibt Führung der Kernmarke ab

Herbert Diess soll sich im VW-Konzern künftig auf das große Ganze konzentrieren. Nach der zunehmenden Kritik der letzten Wochen lässt sich das durchaus auch als Machteinbuße auffassen.

Quelle: WELT

Autoplay
Der Vorstandsvorsitzende Herbert Diess ist seiner Absetzung knapp entgangen. Von der Kultur seiner Belegschaft in Wolfsburg aber trennen ihn Welten. Das nächste große Projekt des Unternehmens könnte über Diess’ Zukunft entscheiden.

Auf Volkswagen, dem größten Automobilhersteller der Welt, lastet enormer Druck. Der Marktführer steckt mitten in der Transformation hin zu hoch digitalisierten Elektrofahrzeugen und fährt dem viel kleineren Wettbewerber Tesla dabei weit hinterher.

Zugleich muss der Konzern die komplexen Herausforderungen meistern, die der Massenmarkt eines Serienherstellers mit sich bringt, in diesem Fall vor allem beim 2019 neu eingeführten Golf 8. Das alles geschieht vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und damit in der größten Krise der Automobilbranche seit Jahrzehnten.

Es bebt derzeit bei Volkswagen zwischen den Machtzentren des Vorstandes, des Aufsichtsrates und des Betriebsrates. In der vergangenen Woche ließ Konzernchef Herbert Diess, seit 2018 im Amt, auf ungewöhnliche Weise Spannung ab. Bei einer Rede vor Tausenden Führungskräften erhob er schwere Vorwürfe gegen Mitglieder des Aufsichtsrates.

Sie hätten Interna über Probleme bei Volkswagen nach außen gegeben und sich dabei womöglich strafbar gemacht. Diess, ein seit Jahrzehnten erfahrener Manager, hätte wissen müssen, dass er darauf schnell eine Antwort bekommen würde – vermutlich suchte er diese Klärung unter öffentlichem Getöse sogar.

In einer Sondersitzung des Aufsichtsrates entging er am Montag nur knapp seiner Absetzung, vor allem auch deshalb, weil dem Konzern kurzfristig kein Nachfolger zur Verfügung steht. Allerdings verlor Diess sein Amt als Vorstandsvorsitzender der Kernmarke Volkswagen.

Zwischen Betriebsrats-Chef Bernd Osterloh (l.) und Herbert Diess kracht es
Zwischen Betriebsratschef Bernd Osterloh (l.) und Herbert Diess kracht es
Quelle: pa/dpa/Peter Steffen

Am Dienstag erklärten der Konzern und der Aufsichtsrat den aktuellen Streit für beigelegt. „Herr Diess hat sich in aller Form entschuldigt, er hat dabei den gesamten Aufsichtsrat adressiert“, erklärten die Mehrheitseigner von Volkswagen, die Familien Porsche und Piëch. „Die Kapitalseite steht weiter hinter ihm.“ Allerdings sei es höchste Zeit, zur Sacharbeit zurückzukehren. „Klar ist auch: Das Unternehmen muss jetzt in ruhigeres Fahrwasser kommen.“

Die akute Krise mag vorüber sein, die latente Verstimmung bleibt. Die Belegschaft misstraut dem Vorstandsvorsitzenden. Bei Volkswagen sind die Mitarbeiter ebenso stark wie das Kapital, wenngleich der Vorsitzende des Aufsichtsrates – ein Vertreter der Eigentümer – mit seiner Doppelstimme den Ausschlag im Gremium geben kann.

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Jahrzehntelang zogen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Volkswagen an einem Strang. Nie war das so deutlich wie in der Ära von Ferdinand Piëch, der von 1993 bis 2002 Vorstandsvorsitzender war und der dann bis 2015 den Aufsichtsrat führte. Nie stellte Piëch die Interessen der Arbeitnehmer grundsätzlich infrage.

Im Gegenteil: Mit Personalvorstand Peter Hartz setzte er in der schweren Branchenkrise der 1990er-Jahre die Viertagewoche durch oder auch das Modell 5000 mal 5000, eine eigene Produktionseinheit außerhalb des Haustarifvertrages.

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In ihrem symbiotischen Verhältnis landeten Vorstand und Arbeitnehmervertreter gemeinsam sogar vor Gericht. Als die Rotlichtaffäre um den Volkswagen-Betriebsrat Mitte des vergangenen Jahrzehnts öffentlich wurde – die Veruntreuung von Firmengeld bei Lustreisen mit Prostituierten –, verloren sowohl Hartz als auch der damalige Betriebsratsvorsitzende Klaus Volkert ihr Amt. Hartz, Mitautor der gleichnamigen Sozialgesetze, kam mit einer Bewährungsstrafe davon, büßte aber seine Reputation ein. Volkert landete im Gefängnis.

Mit Kompetenz kann Diess punkten, mit Empathie nicht

Wie anders sieht das Bild bei Volkswagen heute aus. Der Vorstandsvorsitzende Diess und der mächtige Vorsitzende des Konzernbetriebsrates, Bernd Osterloh, kämpfen um den Kurs bei der Neuausrichtung des Konzerns. Zwar hält Osterloh die Transformation hin zur Elektromobilität und zur Digitalisierung des Autos für unumgänglich – er selbst hatte dies schon vor zehn Jahren gefordert.

Entscheidend ist in diesem Fall aber nicht das Was, sondern das Wie. Die Arbeitnehmer erkennen Diess’ Kompetenz an, der sich vehement für die Neuerfindung des Autos bei Volkswagen einsetzt. Doch trotz vehementer Appelle gewinnt der Konzernchef nicht die Herzen der Mitarbeiter.

Diess hat in Wolfsburg keinen Stallgeruch. Der gebürtige Münchner arbeitete vor seinem Wechsel zu Volkswagen im Jahr 2015 – zunächst zur Kernmarke VW – rund 20 Jahre lang als Topmanager für BMW, von 2007 bis 2014 als Mitglied des Konzernvorstandes. Bis heute lebt Diess mit seiner Familie in München, zur Arbeit bei Volkswagen fliegt er in der Woche nach Wolfsburg und wohnt dort am Rande der Stadt. „Wir fragen uns oft, ob er so etwas wie ein Grundverständnis für die Arbeitnehmer hier hat“, heißt es aus der Belegschaft. „In Wolfsburg hat man ihn bei öffentlichen Anlässen bislang selten gesehen.“

Besonders übel nehmen ihm die Werker speziell am Stammsitz in Wolfsburg – dem größten Automobilwerk der Welt –, dass sich Diess nicht schützend vor sie stellt, wenn es Probleme in der Produktion gibt. Der Golf 8, das wichtigste Volumenmodell des Konzerns, bleibt in seinen Absatzzahlen bislang weit hinter den Planungen zurück. Zuletzt musste die Auslieferung für einige Wochen gestoppt werden, weil die IT für einen Notrufknopf nicht funktionierte.

Diess gilt als Kostenkiller, aber nicht als Patriarch, der das Reich der „Golfsburger“ zusammenhalten kann. Termine für die Markteinführungen neuer Modelle werden beinhart eingehalten – und die Verantwortung für Verzögerungen, so sehen es die Arbeitnehmer, bis an die Arbeiter am Band nach unten durchgereicht. „Wenn ein dafür verantwortlicher Manager einen Termin für eine Markteinführung nicht halten kann, kostet das ziemlich sicher dessen Karriere“, heißt es aus dem Unternehmen.

Bei der nächsten großen Markteinführung aber steht allein Diess im Fokus. Im Sommer soll der erste rein als Elektroauto konzipierte Pkw von Volkswagen zu den Kunden kommen, der ID.3. Kein Auto ist mit der bisherigen Arbeit von Diess im Konzern enger verbunden als dieses. Die bisherigen Probleme, etwa mit der komplexen IT, waren erheblich. Ein Erfolg des ID.3 kann Diess wieder nach oben ziehen – ein Misserfolg aber ganz nach unten.

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