WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. 16 oder 19 Prozent – welche Mehrwertsteuer braucht das Land?

Wirtschaft Diskussion über Konjunkturimpuls

16 oder 19 Prozent – welche Mehrwertsteuer braucht das Land?

Wirtschafts- und Finanzredakteur
Seit Juli gilt die zeitlich begrenzte Mehrwertsteuersenkung. Ihr Effekt ist unter Ökonomen umstritten Seit Juli gilt die zeitlich begrenzte Mehrwertsteuersenkung. Ihr Effekt ist unter Ökonomen umstritten
Seit Juli gilt die zeitlich begrenzte Mehrwertsteuersenkung. Ihr Effekt ist unter Ökonomen umstritten
Quelle: dpa/Christian Charisius
Ab Januar soll die Mehrwertsteuer wieder erhöht werden. Während die Bundesregierung gegenteilige Begehrlichkeiten im Keim ersticken möchte, werden genau solche Stimmen jetzt laut. Doch es spricht vor allem ein Grund für die Rückkehr zur 19-Prozent-Regelung.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) fordert angesichts der sich täglich verschärfenden Corona-Lage dauerhaft niedrigere Mehrwertsteuersätze. „Die Rückkehr zu den alten Sätzen zum Jahreswechsel ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll“, sagte Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des HDE, gegenüber WELT. Derzeit würden viele Kunden die Innenstädte und den Einkaufsbummel meiden, um Kontakte zu reduzieren.

Deshalb brauche der Konsum weiterhin eine Stütze. „Die gesenkten Sätze sollten so lange beibehalten werden, bis die Pandemie zuverlässig überwunden ist“, sagte Genth. Im Sommer hatte die große Koalition beschlossen, die Mehrwertsteuersätze zur Stützung der Konjunktur befristet für ein halbes Jahr von 19 auf 16 Prozent und von sieben auf fünf Prozent zu senken.

Lesen Sie auch

Diese Frist läuft am 31. Dezember ab. Seitdem sind Vertreter von CDU, CSU und SPD bemüht, jegliche Diskussion über eine mögliche Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung über den Jahreswechsel hinaus im Keim zu ersticken.

Der Handelsverband ist mit seiner Forderung, das Thema wegen der zweiten Welle der Corona-Pandemie dennoch jetzt anzupacken, nicht allein. Unterstützung erhält er von einer Partei, die bislang nicht unbedingt durch eine besondere Nähe zu Wirtschaftsverbänden aufgefallen ist. „Wir sollten die Mehrwertsteuer für den normalen Einkauf, insbesondere für Grundnahrungsmittel, nicht wieder anheben“, sagte Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei, WELT.

Parteien und Ökonomen mehrheitlich gegen dauerhaft niedrigere Sätze

Eine Steuererhöhung werde für Gering- und Normalverdiener im Corona-Winter zum Problem. Zumal er davon ausgehe, dass „die Erhöhung zum Januar den Effekt der Senkung ‚negativ‘ übertreffen“ wird – dass also die Preise zum Jahreswechsel stärker steigen, als sie im Sommer gesenkt wurden.

Bartsch kann sich eine Steuererhöhung nur für eine kleine, sehr kaufkräftige Gruppe vorstellen: „Ich schlage vor, wir sollten über eine Luxussteuer, eine Anhebung der Mehrwertsteuer auf Luxusgüter einerseits, etwa Luxuskarossen oder Yachten, und die Beibehaltung der Mehrwertsteuersenkung für Otto Normalverbraucher andererseits diskutieren“, sagte er. Aus seiner Sicht ist es nur fair, wenn Verbraucher mit einem dicken Portemonnaie bei teurem Konsum eine Entlastung von Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen in Krisenzeiten mitfinanzieren.

Dass über den letzten Punkt auch in anderen Parteien diskutiert wird, ist schwer vorstellbar. Auch der grundsätzliche Wunsch eines dauerhaft niedrigeren Mehrwertsteuersatzes hat es nicht nur bei den Regierungsparteien, sondern auch bei anderen Oppositionsparteien, bei Ökonomen und selbst in wichtigen Teilen der Wirtschaft schwer, wie eine Umfrage unter den Vertretern der im Bundestag vertretenen Parteien und großer Institute zeigt. Die AfD äußerte sich nicht zum Thema.

„Wir sollten nicht alle paar Wochen über eine Verlängerung diskutieren, sonst verpufft der bis Jahresende gewünschte Effekt. Ich halte es für richtig, dass eine solche Maßnahme befristet ist“, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus der WELT auf die Frage nach einer möglichen Beibehaltung der Mehrwertsteuersenkung. Brinkhaus erinnerte dabei auch an die mit einer solchen Maßnahme verbundenen Kosten. Die Regierung habe im Frühjahr und Sommer bereits enorme Hilfen für Bürger, Familien und Unternehmen beschlossen, damit die Wirtschaft in Schwung komme.

Quelle: Infografik WELT

„Je höher die Schulden sind, desto mehr nehmen wir auch den nachfolgenden Generationen deren eigene Handlungs- und Gestaltungsspielräume“, sagte Brinkhaus. Daher könnten die Maßnahmen und vor allem die Mehrwertsteuerabsenkung trotz der derzeitigen Pandemie-Lage nur vorübergehend sein.

Anzeige

Nicht ganz so klar in seiner Aussage war SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er vermied eine eindeutige Absage und lenkte den Fokus darauf, dass zu Jahresbeginn zahlreiche Maßnahmen wie die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für einen großen Teil der Steuerzahler, das Familienentlastungsgesetz und die Grundrente in Kraft treten. „Damit erhöhen wir das verfügbare Einkommen vieler Menschen und erreichen einen zielgerichteteren Effekt für die Binnennachfrage als tragende Säule unseres Wachstums“, sagte er.

Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von „mehreren Stufen der Entlastung“. Dazu gehöre als erste Stufe die bis zum 31. Dezember befristete Senkung der Mehrwertsteuer, ab 1. Januar dann die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für die meisten Steuerzahler und die Erhöhung des Kindergeldes.

Unmissverständlich sind die Aussagen von FDP und Grüne. Mit der Mehrwertsteuersenkung habe die Regierung im Sommer fast 20 Milliarden Euro auf das Prinzip Hoffnung gesetzt, sagte der Parteivorsitzende und Fraktionschef der FDP, Christian Lindner. „Nun zeigt sich, dass das von Markus Söder sogenannte Herzstück des Konjunkturpakets verpufft, weil es Konsum und Konjunktur nicht nennenswert befördert.“

Zusätzliche Effekte könnten verpuffen

Anja Hajduk, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, sieht ebenfalls keinen großen Konjunkturimpuls. Gerade die aktuelle Diskussion über die Rettung der Innenstädte und die Aussicht auf den schwierigen Herbst zeigten, dass sich die Bundesregierung keine politischen Instrumente zur Krisenbekämpfung mehr leisten könne, deren Effekt trotz großer Ankündigungen verpufft. Gezielte Instrumente wie eine Stundung der Umsatzsteuerzahlung seien sinnvoller.

Ökonomen unterstützen diese Ansicht. Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), verweist darauf, dass die Mehrwertsteuersenkung als konjunkturpolitische Maßnahme richtigerweise befristet sei. Schließlich gehe es darum, dass Verbraucher einen Anreiz haben, jetzt ihr Geld auszugeben und nicht erst später.

Wirtschaftswissenschaftler sprechen von einem Vorzieheffekt. „Wenn dieser hinter den Erwartungen zurückbleibt, hat das andere Gründe, nämlich die Verunsicherung durch die Pandemie und der politische Umgang damit“, sagt Hüther. Das könne man nicht mit Steuersenkungen beantworten, sondern „mit einer ruhigen, verlässlichen, nicht dramatisierenden Strategie im Umgang mit Covid-19“.

Beim arbeitnehmernahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Boeckler-Stiftung sieht man das ähnlich. Dessen Leiter Sebastian Dullien verweist auf drei grundsätzliche Effekte einer Mehrwertsteuersenkung: Sie stärkt die Kaufkraft, und zwar je stärker, je mehr eine Person ausgibt. Sie sorgt für Vorzieheffekte von größeren Anschaffungen, weil die Verbraucher mit einer wieder steigenden Steuer und steigenden Preisen rechnen. Und sie hilft jenen Unternehmen, die viel umsetzen.

Industrie befürchtet erneuten Umstellungsaufwand

Anzeige

„Bei einer Verlängerung würde es keine zusätzlichen Vorzieheffekte geben, und die Menschen würden stattdessen einige geplante Käufe aus dem vierten Quartal 2020 weiter in die Zukunft schieben“, sagt Dullien. Das würde die Konjunktur eher bremsen als ankurbeln.

Im Herbstgutachten führender Wirtschaftsforschungsinstitute werden die Vorzieheffekte vom ersten Quartal 2021 auf das bereits laufende vierte Quartale 2020 auf vier Milliarden Euro veranschlagt. „Die Mehrwertsteuersenkung ist nicht zielgenau, die hätte man sich sparen können“, sagte Stefan Kooths, Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW), bei der Vorstellung des Herbstgutachtens Mitte Oktober. Sie begünstige schließlich auch jene Haushalte, die keine oder nur geringe Einkommenseinbußen zu beklagen hätten.

Selbst von einem der einflussreichsten Wirtschaftsverbände kommt keine Unterstützung für eine dauerhafte Senkung. „Eine Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung über den 31. Dezember hinaus begegnet erheblichen praktischen Schwierigkeiten“, sagte Monika Wünnemann, Leiterin der Steuerabteilung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Denn dann müssten noch einmal alle Rechnungslegungs- und Warenwirtschaftssysteme umgestellt werden, diese seien auf sechs Monate programmiert.

„Eine kurzfristige Änderung hätte für Unternehmen erneut einen erheblichen Umstellungsaufwand zur Folge“, sagte Wünnemann. Wobei dazu gesagt werden muss, dass die Mehrwertsteuer bei großen Unternehmen ohne Endkundengeschäft ein durchlaufender Posten ist. Da spielt die Höhe keine Rolle – anders als bei vielen Einzelhändlern und ihren Kunden.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema