Kommentar

Im Streit um die europäischen Grundwerte braucht es Führungsstärke – Ursula von der Leyen hat sie augenscheinlich nicht

Ursula von der Leyen steht seit einem Jahr an der Spitze der EU-Kommission. Im Streit um die Rechtsstaatlichkeit mit Ungarn und Polen könnte sie endlich Führungsstärke demonstrieren. Doch stattdessen hält sich die Deutsche auffällig zurück.

Daniel Steinvorth, Brüssel 94 Kommentare
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Über den Impuls, auch einmal etwas gegen den Willen der Staats- und Regierungschefs zu tun, scheint Ursula von der Leyen nicht zu verfügen.

Über den Impuls, auch einmal etwas gegen den Willen der Staats- und Regierungschefs zu tun, scheint Ursula von der Leyen nicht zu verfügen.

John Thys / Reuters

Es ist eine Krise in der Krise. Mitten in der Pandemie blockieren zwei Staaten den Haushalt der EU und die damit verbundenen Corona-Wiederaufbau-Hilfen für den Kontinent. Weil die Auszahlung der Milliarden künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft werden soll, haben Ungarn und Polen ihr Veto eingelegt. Das ist mehr als nur ein klassischer Interessenkonflikt, denn hier sind sich die 27 Mitgliedstaaten ja nicht einmal darüber einig, was sie über das Geld hinaus überhaupt eint. Es geht also um Grundsätzliches in Brüssel, um Souveränität und Solidarität.

Kann in dieser Lage jemand ein Machtwort sprechen; und wenn ja, wer sollte das sein? Viele Hoffnungen ruhen derzeit auf Angela Merkel, der dienstältesten und damit erfahrensten Regierungschefin in der Europäischen Union. Allerdings geht auch die Zeit der deutschen Rats-Präsidentschaft dem Ende zu, und die Gemeinschaft ist dabei noch tiefer in die Krise gerutscht. Ein Ende der Kanzlerschaft Merkels ist ebenfalls in Sicht. Dagegen dürfte eine andere mächtige deutsche Frau Brüssel noch länger erhalten bleiben: Soeben jährt sich die Amtszeit Ursula von der Leyens als EU-Kommissions-Präsidentin zum ersten Mal.

Wegschauen und kleinreden

Von der Leyen tat bisher nicht, was man von der Chefin der obersten Brüsseler Behörde im Streit um die Rechtsstaatlichkeit hätte erwarten können. Sie haute nicht auf den Putz. Sie sagte zunächst einmal gar nichts zum ungarisch-polnischen Erpressungsmanöver. Stattdessen überliess sie anderen Akteuren den direkten politischen Schlagabtausch. Erst nach Tagen erfolgte eine kleinlaute Rüge aus dem 13. Stock des Berlaymont-Gebäudes: Die Regierungen in Budapest und Warschau, so von der Leyens Empfehlung, mögen doch vor den Europäischen Gerichtshof ziehen und den von innen kritisierten Rechtsstaatsmechanismus dort prüfen lassen.

Als die Deutsche am 1. Dezember 2019 ihr Amt antrat, mochte sie gute Gründe gehabt haben, auf Ungarn und Polen zuzugehen. Gewählt worden war sie ein halbes Jahr zuvor ja auch mit den Stimmen der beiden nationalkonservativen Regierungsparteien im Europaparlament. Im Streit um die Migrationspolitik, der Ost- und Westeuropäer gespalten hatte, bot sie den Visegrad-Staaten versöhnliche Töne und einen «Neustart» an. Diese Linie hielt von der Leyen auch dann noch durch, als Viktor Orban während der ersten Corona-Welle seine umstrittenen Corona-Notstandsgesetze verabschiedete und der Rest Europas sich empörte. Mittlerweile aber, da die zweite Welle der Seuche die Gemeinschaft fest im Griff hat und eine Haushaltsblockade das Letzte ist, was die EU gebrauchen kann, stehen Wegschauen und Kleinreden der Kommissionschefin schlecht zu Gesicht.

Nur ein Sekretariat der Mitgliedstaaten?

Dabei lässt sich über das Mandat der EU-Kommission streiten. Ist die Institution nur eine Art besseres Sekretariat der Mitgliedstaaten? Oder ist sie eben doch eine supranationale Exekutive? Die mangelnden Kompetenzen seiner Behörde wusste mancher Vorgänger im Amt durch politisches Gespür und Persönlichkeit wettzumachen. Jean-Claude Juncker etwa stellte sich dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump dreist als «Mister Europe» vor. Über den Impuls, auch einmal etwas gegen den Willen der Staats- und Regierungschefs zu tun, scheint von der Leyen nicht zu verfügen.

Unnahbar wie keiner ihrer Vorgänger, dabei durchaus ambitioniert, stets konzentriert und der grossen Geste nicht abgeneigt – diesen Stil wird sich die frühere deutsche Verteidigungsministerin nicht mehr abgewöhnen können. Auch muss man ihr zugutehalten, dass bisher noch kein Chef der Kommission mit einer solchen Vielzahl existenzieller Krisen konfrontiert wurde wie sie. Dass sich die EU in dieser Lage aber erst recht keine Führungsschwäche leisten kann, sollte von der Leyen allmählich begriffen haben.

Dem Brüssel-Korrespondenten Daniel Steinvorth auf Twitter folgen.

94 Kommentare
Thomas Reich

Die Zweifel an der Führungsstärke von Ursula von der Leyen sind nicht neu. Ihr Markenzeichen - die bedeutungsschwangeren Auftritte und das Verkünden grosser Überschriften - wird sie nicht mehr ablegen. Dazu gehört auch, dass bei der Überprüfung ihrer Leistungen rückblickend in aller Regel ausgesprochen enttäuschende Resultate offengelegt werden. Was bedeutet das für die kränkelnde Institution der EU? Lässt sich die EU mit grossen Worten gesundbeten? Wohl kaum. Von der Leyen leidet damit ausgerechnet an der gleichen Schwäche wie ihre Mentorin Angela Merkel, der aktuellen Ratspräsidentin: Charakterschwäche gepaart mit Ideenlosigkeit und mageres handwerklichen Rüstzeug für Managementaufgaben. Auch sie hat sich jahrelang mit Hilfe von Ankündigungs- und Symbolpolitik durchgewurstelt. Gegenspieler Orban ist da zweifellos aus einem anderen Holz geschnitzt, er scheut keine Eskalationen. Für die hilfebedürftigen Staaten ist die Situation unangenehm, für Europa bietet der aktuelle Streit jedoch eine Chance, Fehler in der Gesamtkonstruktion zu korrigieren.

Dieter Wimmer

Es wird ohnehin Zeit dieses Experiment EU zu beenden,  bis heute gibt es keine demokratische Legitimation für all die Eingriffe , Regelungen und Machtverlagerungen nach Brüssel,  der Bürger wurde nie gefragt !  Polen und Ungarn sind die wage Hofrfnung das diese Steuerumverteilungsmaschinerie endgültig beendet wird und Nationalstaaten wieder ihre Autonomie erlangen.  Dazu braucht es natürlich wieder Regierungen in den Ländern die eine demokratische freie Grundordnung fördern und bezogen auf Deutschland das Grundgesetzt wieder achten !  Als Bürger der alten Bonner Demokratie vermisse ich diese mittlerweile sehr !  Wir brauchen wieder eine Regierung die den Menschen im Lande dient und nicht den politischen Agenden der EU, des WEF oder teils stark ideologisch verblendeter Parteipolitik folgt ! Eine EU brauchen wir nicht , ein lose Handelsbeziehung wie einst in der EWG ist da ein besser geeignetes Konstrukt, bei der EU geht es nur noch um Macht und die eben schon genannten Atribute der Politischen Führung heute ! 

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